Anthropozän-Kapitalismus: "Grün" in die Barbarei

Christian Zeller

Teil 3 der Artikelreihe Ökosozialistische Strategien im Anthropozän

Die abrupten Veränderungen des Erdsystems sind Ergebnis des kapitalistischen Akkumulationszwangs und Ausdruck einer neuen erdgeschichtlichen Epoche: dem Anthropozän. Die Charakteristika des Anthropozän-Kapitalismus stellen jedes Projekt der
gesellschaftlichen Veränderung vor die Herausforderung, die Spielräume für alternative Entwicklungspfade zu erkennen. In diesem Teil 3 der Artikelreihe Ökosozialistische Strategien im Anthropozän argumentiere ich, dass der Anthropozän-Kapitalismus weder stofflich-materielle noch ökonomische Grundlagen für eine sozial-ökologische Transformation bietet. Der permanenten ökonomischen Instabilität und den Brüchen im Erdsystem ist vielmehr eine revolutionäre ökosozialistische Strategie angemessen. Dies begründe ich im nachfolgenden Teil 4 der Reihe.

Finanzdominierte Akkumulation

Die umfassende ökologische Krise ist Ausdruck des Widerspruchs zwischen den planetaren Grenzen des Wachstums und der endlosen Akkumulationsdynamik des Kapitals.[1] Seit das Finanzkapital ab den späten 1970er Jahren zunehmend das Kommando über die Prozesse der
Kapitalakkumulation – also die Produktion und Bereitstellung von Infrastruktur sowie, durch private Verschuldung, sogar über den Konsum – übernahm, schreiten die Ausbeutung der Arbeit und die Plünderung der Natur weltweit noch schrankenloser voran.[2] Auch die Digitalisierung der Ökonomie geht nicht mit einer Entfossilisierung einher, denn sie erfordert eine energetische Grundlage. Die Treibhausgasemissionen steigen weiter an.

Der kapitalistische Akkumulationsmotor stottert seit der letzten großen Krise 2007–2009. Die Produktivitätsgewinne sind deutlich niedriger als noch zu Zeiten der glorreichen dreißig Jahre nach dem 2. Weltkrieg oder der New Economy der 1990er Jahren.[3] Seit den späten 1970er Jahren hat sich im Zuge der neoliberalen Wende eine Konfiguration des Kapitalismus durchgesetzt, die von einer enormen Bedeutungszunahme des Finanzkapitals gekennzeichnet ist. Letztlich bestimmen Erwartungen des fiktiven Kapitals, sich einen Teil des Mehrwerts in Form von Zins- und Rentenerträgen einzustreichen, den Rhythmus der Akkumulation.[4] Weil die gängige, obschon
gesteigerte Ausbeutung der Arbeit hierzu nicht reicht, verstärkte das Kapital seine internationale Expansion in neue Gebiete, vor allem China, zur Einsaugung von Millionen zusätzlicher Arbeiter:innen in die Mehrwertproduktion und setzte darüber hinaus vermehrt Prozesse der Akkumulation durch Enteignung durch.[5]

Der teilweise Wiederanstieg der Profitraten in den 1990er und 2000er Jahren führte allerdings nicht zu einer Ausdehnung der Investitionen, sondern diente der Verteilung in Form von Finanzerträgen[6] und der Errichtung eines Regimes im Dienste der Rentiers.[7] Es zeigte sich, dass
sich die Investitionstätigkeit teilweise von der Profitabilität entkoppelte.[8]
Die herrschenden Kapitalfraktionen haben es im Zuge der Krise 2007–2009 geschafft, eine Entwertung des fiktiven Kapitals mitsamt seinen Ansprüchen zu vermeiden. Die Kosten der Krise wurden mit einer verstärkten Austeritätspolitik, vor allem in der europäischen Peripherie, auf die
breite Masse der Lohnabhängigen abgewälzt. Nicht überraschend setzte das Kapital auch in der Klimapolitik weitgehend auf marktwirtschaftliche Instrumente wie den Emissionshandel, der letztlich aber auf eine Erweiterung des Reichs der Finanzansprüche, der Renten- und Zinserträge hinauslief.[9]

Die gegenwärtige Krise, die sich bereits vor einiger Zeit andeutete und nun durch die Covid-19-Pandemie eine unermessliche Tiefe und Hartnäckigkeit angenommen hat, zeigt die Grenzen der Akkumulationsdynamik in aller Schärfe. Sie ist durch einen massiven Einbruch der
Wirtschaftsleistung auf globaler Ebene und tiefe gesellschaftliche Krisen gekennzeichnet. Erneut reagieren Regierungen und Konzernleitungen auf die Krise, indem sie die gemäß der kapitalistischen Logik eigentlich anstehende Kapitalentwertung hinauszögern und abfedern. Die
Regierungen greifen abermals großen Konzernen mit Kapitalbeteiligungen und Krediten unter die Arme und treiben damit die Staatsverschuldung in die Höhe. Auf diese Weise tragen sie zur Steigerung der Finanzguthaben der Investmentfonds bei. Die Staaten leihen sich im großen Stil bei jenen Akteuren Geld, die sie eigentlich stärker besteuern müssten, um die Verschuldung in Grenzen  zu halten. Mit der zusätzlichen bislang unvorstellbaren Aufblähung der Staatsverschuldung stützen sie Konzerne des fossilistischen Kapitals, nicht zuletzt Fluggesellschaften, Flugzeugbauer und die Automobilindustrie. Damit bekräftigen sie einmal mehr, dass sie die Klimaerhitzung als
nachrangiges Problem ansehen.
Die Notenbanken akzentuierten lange Zeit ihre expansive Geldpolitik und die niedrigen Zinsen in der Hoffnung, Unternehmen zur Kreditaufnahme und Investitionstätigkeit anzuregen. Da sich allerdings die Profitraten und Absatzmärkte angesichts der Krise nur ungenügend entwickeln, zögern die Unternehmen zu investieren. Die Hypothese einer langanhaltenden Stagnationsphase ist somit plausibel. Mittlerweile winkt sogar wieder das Gespenst der Stagflation, also einer Stagnation bei gleichzeitiger Inflation. Die Notenbanken sitzen nun im Dilemma. Was immer sie tun, ist keine Antwort auf die tieferliegenden Widersprüche. Nichts deutet darauf hin, dass die kapitalistischen Gesellschaften in den nächsten Jahren wieder zu einer stabilen Entwicklung zurückfinden. Das Kapital und seine Interessensvertreter:innen stehen vor der Frage, wie sich die Profitabilität des Kapitals wieder steigern und dabei gleichzeitig neue Märkte erschließen lassen und zwar in einem Maße, dass das Kapital wieder genügend Anreize hat, die Investitionen stark auszuweiten. Darum ist zu erwarten, dass das Kapital mit umfassenden
industriellen Restrukturierungen auf Kosten der Lohnabhängigen, der reproduktiv Arbeitenden und der Natur reagieren wird, um seinen endlosen Hunger nach Mehrwert zu stillen. Solange die Profite nicht steigen und neue Absatzmärkte erschlossen werden können, werden die Investitionen nicht das erforderliche Maß annehmen, um eine neue Wachstumsphase einzuleiten.[10]

Doch so groß die eigenen Widersprüche auch sein mögen, die kapitalistische Produktionsweise wird daran nicht zusammenbrechen.[11] Sofern die Lohnabhängigen keinen Widerstand leisten und eine glaubwürdige gesellschaftliche Alternative durchsetzen, wird sich die kapitalistische Produktions- und Herrschaftsweise anpassen – dabei allerdings auf immer barbarischere Herrschaftsmechanismen zurückgreifen müssen. Die kapitalistische Produktionsweise kann nur noch fortbestehen, indem sie einer zunehmend größeren Zahl von Menschen die Chancen auf Selbstverwirklichung entzieht, deren Lebensbedingungen verschlechtert oder gar deren unmittelbare physische Existenz infrage stellt und schließlich den Planeten im Anthropozän in eine lebensfeindliche Konfiguration treibt.

Anthropozän

Die kapitalistische Produktionsweise setzte sich auf der Grundlage fossiler Brennstoffe durch. Auch die weitere Entwicklung basierte auf der Extraktion von Kohle, Öl und Gas.[12] Die Verbindung zwischen kapitalistischer Akkumulation und fossilen Energieträgern lockerte sich seither nicht. Die zur Beschränkung der Erderhitzung erforderliche Reduzierung der Treibhausgasemissionen würde zwangsläufig zur raschen Entwertung riesiger mit den fossilen Energieträgern verbundenen Kapitalmengen führen. Für die Energiekonzerne stellen ihre Reserven von Kohle, Öl und Gas Kapital dar, das sie profitabel verwerten wollen. Auf dieses Kapital werden sie freiwillig nicht verzichten. Darum widersetzen sich die wichtigsten Sektoren des Kapitals dieser Entwertung mit aller Kraft. Weil die fossilen Treibstoffe in alle Aspekte unseres Alltagslebens eingewoben sind, ist die erforderliche Defossilisierung eine umfassende gesellschaftliche Aufgabe. Aufgrund dieser tiefen Verwobenheit der kapitalistischen Produktionsweise mit fossilen Energieträgern ist es sinnvoll, etwas grundsätzlicher auf den gesellschaftlichen Stoffwechsel mit der Natur einzugehen.
Die kapitalistische Produktionsweise praktiziert einen gesellschaftlichen Stoffwechsel mit der Natur, der darauf drängt, die planetaren Grenzen zu missachten.[13] Die „Tretmühle“ der Akkumulation mündet in eine planetare Überbelastung und zu einem „allumfassenden Riss in der
menschlichen Beziehung mit der Natur“.[14] Dieser ökologische Riss ist Ergebnis eines gesellschaftlichen Risses: der Herrschaft von Menschen über Menschen.[15] Foster, Clark und York argumentieren, dass die Analyse des gesellschaftlichen Stoffwechsels mit der Natur den Schlüssel biete, um die Herausforderung der planetaren Grenzen zu verstehen.[16] Die mit den Zerstörungen einhergehenden Katastrophen gefährden das physische Überleben von Millionen von Menschen und stellen die Reproduktion ganzer Gesellschaften infrage.[17] In diesem Stoffwechsel kommt auch der ökologische Imperialismus zum Ausdruck, der durch Extraktion von Ressourcen und die Erschließung von Senken Zerstörungen der Umwelt auf die dominierten und abhängigen Länder abwälzt.[18] Neben der Erderhitzung haben auch der Verlust der Biodiversität, die Versauerung der Ozeane, Landnutzungsänderungen durch Abholzung sowie der Stickstoff- und Phosphoreintrag in
die Biosphäre und Atmosphäre die Grenzen der Tragfähigkeit erreicht oder gar überschritten.[19]

Der durch die kapitalistische Industrialisierung praktizierte Stoffwechsel mit der Natur hat das Erdsystem so stark verändert, dass die Erde spätestens seit der großen Beschleunigung aller gesellschaftlichen Vorgänge nach dem Zweiten Weltkrieg in eine neue erdgeschichtliche Epoche, das Anthropozän, geraten ist. [20] Die stabile Phase des Holozäns, die nach der letzten Eiszeit einsetzte und rund 11.700 Jahre dauerte, ist vorbei. Doch genau die lebensfreundliche Klimakonfiguration des Holozäns ermöglichte erst die Entwicklung der menschlichen Zivilisation, wie wir sie heute kennen. Der Übergang in die neue erdgeschichtliche Epoche des Anthropozäns, die sich ihrerseits weiterhin auf unvorhersehbare und gefährliche Weise verändert, stellt die menschliche Gesellschaft vor eine unermessliche Herausforderung, deren Tragweite noch kaum abzuschätzen ist. Die Fülle der durch die kapitalistische Akkumulationsdynamik ausgelösten Veränderungen des Erdsystems bewirkten einen qualitativen Bruch. Darum ist das Anthropozän nicht nur ein biophysisches Phänomen, sondern auch eine sozial-ökologische Herausforderung.

In Teil 2 dieser Reihe mit dem Titel „Die Zeit läuft uns ab“ habe ich bereits erläutert, dass die Erderwärmung sowie die Dynamiken des Erdsystems nichtlineare Prozesse sind. Gesellschaftliche Entwicklungen verlaufen ebenso nicht kontinuierlich und linear. Vielmehr können lange Zeit stabil scheinende Phasen abrupt neuen Konstellationen Platz machen. Das sind die Momente, in denen sich plötzlich große gesellschaftliche Veränderungen durchsetzen. Die Defossilisierung der Wirtschaft kann ein derartiger umfassender gesellschaftlicher Umbruch sein, allerdings nur, wenn es gelingt, die Zwänge der Kapitalakkumulation zu überwinden.

Fossil-Finanz-Staats-Komplex

Die gegenwärtigen Anlagestrategien des Finanzsektors sowie die anhaltend fossil-freundliche Politik vieler Staaten zeigen, dass die fossilen Energieträger gemäß den Plänen der herrschenden Kapitalgruppen auch in den kommenden Jahrzehnten eine zentrale Rolle einnehmen werden. Aktuelle Berichte der IEA (Internationale Energy Agency) und der OPEC (Organization of the Petroleum Exporting Countries) zeichnen ein klares Bild: Nichts deutet auf eine rasche Entfossilisierung hin. Gegenwärtig beruhen etwas mehr als 80 Prozent des weltweiten Energiekonsums auf Kohle, Öl und Gas. Gemäß Vorhersagen der OPEC werde der Anteil der fossilen Energieträger auch im Jahr 2045
immer noch 70 Prozent betragen.[21] Auf die Industrie der fossilen Treibstoffe gingen im Jahr 2015 rund 70 Prozent der gesellschaftlich produzierten Treibhausgasemissionen zurück.[22] Die Konzerne der Kohle-, Erdöl- und Erdgasindustrie stehen am Anfang zahlreicher
Wertschöpfungsketten in den meisten anderen Industrien. Gemäß Climate Accountability Institute verursachten die größten 20 Konzerne des fossilen Sektors in der Zeit von 1965 bis 2017 gemeinsam 480 Milliarden Tonnen CO2 – und Methan-Emissionen. Das entspricht 35 Prozent aller weltweiten Emissionen aus fossilen Treibstoffen und der Zementproduktion in diesem Zeitraum, die sich auf 1,35 Billionen Tonnen beliefen.[23] Die OPEC und die Erdölkonzerne gehen davon aus, dass der Erdölverbrauch in den kommenden Jahrzehnten
weiter ansteigen werde.
Der Bericht „Five Years Lost“ (Fünf verlorene Jahre) enthüllt, welche Banken und Investoren diejenigen Unternehmen unterstützen, die große, umstrittene Projekte zur Expansion von Kohle, Öl und Gas entwickeln.[24] Zusammen werden zwölf große Projekte der fossilen Energiekonzerne voraussichtlich mindestens 175 Gigatonnen zusätzliches CO2 ausstoßen, wenn sie wie von den beteiligten Unternehmen beabsichtigt ausgebaut werden. Das sind 75 Prozent des verbleibenden Kohlenstoffbudgets von 235 Gigatonnen, mit dem die globale Erwärmung mit einer Wahrscheinlichkeit von 66 Prozent noch auf 1,5 Grad begrenzt werden kann.
„Seit dem Pariser Klimaabkommen 2015 ist die weltweit installierte Kohlekraftwerkskapazität um 157 Gigawatt (GW) gestiegen – dies entspricht der aktuellen Kohlekraftwerksflotte von Deutschland, Russland, Japan und der Türkei zusammen.“ Zahlreiche große Kohlekonzerne
expandieren und planen, dies fortzuführen. Der von 40 zivilgesellschaftlichen Organisationen publizierte Bericht „Global Coal Exit List“ kommt zu einem alarmierenden Ergebnis. Von den 1.030 größten Konzernen der Welt mit 1.800 Tochterunternehmen entlang der  Kohlewertschöpfungskette, also Kohlekraftwerksbetreiber und Kohleförderer, treiben immerhin 503 Konzerne umfassende Investitionsprojekte voran. „Institutionelle Investoren besaßen Anfang des Jahres noch immer Aktien und Anteile an der Kohleindustrie im Wert von 1,03 Billionen US-Dollar. Darüber hinaus haben Banken Kohlefirmen in den vergangenen zwei Jahren mit Krediten und Investmentbanking-Geschäften in Höhe von 1,12 Billionen US-Dollar unterstützt.“[25] Diese Befunde zeigen, wie der Fossil-Staat-Komplex weiterhin die Welt in den Abgrund schiebt. Nicht nur die Konzerne, auch die Staaten sind verantwortlich. Zwar vereinbarten die Regierungen der frühindustrialisierten Staaten im Jahr 2009 bei einem Gipfeltreffen, Subventionen für fossile Energieträger zu beenden. Allerdings legten sie selbstverständlich kein Datum fest. Die Besitzer des im fossilen Sektor investierten und platzierten Kapitals denken nicht daran, ihre Vermögenswerte abzuschreiben. Ganz im Gegenteil. Die G20-Staaten haben im Zeitraum von 2015 bis 2019 die fossile Energie und Infrastruktur mit rund 3,3 Billionen US-Dollar (2,5 Billionen Euro) subventioniert.

Die Forschungsabteilung des Finanz- und Informationsunternehmens Bloomberg (das Michael Bloomberg, dem ehemaligen Bürgermeister von New York gehört) legte am 20. Juli einen umfangreichen Bericht über die Subventionen und die Klimapolitik mit zahlreichen Länderstudien
vor.[26] Die Studienautor:innen ermittelten, dass knapp die Hälfte der gesamten Mittel im Jahr 2019 in staatseigene Konzerne der G20-Länder versickerten. Insgesamt 60 Prozent der Subventionen gingen an Produzent:innen und Versorger; der Rest kam direkt Konsument:innen
zugute. Doch die wohlhabenderen Konsument:innen profitierten am stärksten von den verbraucherorientierten Subventionen. Der Großteil floss beispielsweise 2015 und 2019 mit 73 beziehungsweise 82 Prozent in die Förderung von Öl und Gas. Vor allem in China, Südafrika und Japan stiegen die Subventionen für Kohle in den letzten Jahren deutlich an. Nach Angaben der Autor:innen befinden sich in China knapp 250 Kohlekraftwerke in Planung, in Indien sind es 66 Anlagen. Die G20-Staaten haben zwar mehr als 360 Milliarden Euro in klimafreundliche Initiativen gesteckt, zugleich aber viermal so viel Geld in CO2 -intensive Sektoren wie die Luftfahrtindustrie oder die Bauwirtschaft gepumpt. Die Befunde und die Vorschläge der Bloomberg-Studie zeigen auf, wie unentwirrbar verwoben die kapitalistischen Staaten mit dem Finanzsektor und dem fossilen Sektor seit Jahrzehnten funktionieren.

Der fossile Sektor bleibt profitabel. Dementsprechend fließt weiterhin Kapital in diesen. Die erneuerbaren Energieträger werden der Nachfrage nach Strom nicht genügen. Die Financial Times berichtete kürzlich, dass die steigende Stromnachfrage Kraftwerkskohle zur lukrativsten
Anlageklasse gemacht hat. Kohle wird also noch lange Zeit die Lücke schließen. Da die Stromnachfrage weiter stark zunahm, stiegen auch die Preise für Kraftwerkskohle. „Lieferunterbrechungen, eine Dürre in China und eine wieder anziehende Stromnachfrage haben den Markt für Kraftwerkskohle beflügelt und den unbeliebtesten Rohstoff der Welt zu einem der bestperformenden Vermögenswerte in diesem Jahr gemacht.“[27]

Das Wiederaufleben der Kraftwerkskohle verdeutlicht die Schwierigkeiten, mit denen Regierungen bei dem Versuch konfrontiert sind, auf sauberere Energieformen umzusteigen. Obwohl erneuerbare Energien wie Wind- und Solarenergie rasant wachsen, halten sie mit der steigenden Nachfrage nach Strom und Energie nicht Schritt. Ein wirklicher Umbau des Energiesystems deutet sich nicht an.
Die erneuerbaren Energien haben den weltweiten Energiemix in den letzten Jahrzehnten nicht substantiell verändert. Zwischen 1990 und 2015 stagnierte der Anteil erneuerbarer Energien am Endenergieverbrauch um 17–18 Prozent. Bei elektrischem Strom hatten die erneuerbaren Energien 2019 einen Anteil von 27 Prozent, eine bescheidene Steigerung gegenüber 19 Prozent dreißig Jahre früher.[28]

Es fehlen weltweit schlicht die materiellen Voraussetzungen, die bestehende Energienachfrage ohne fossile Energieträger zu befriedigen. Nicht einmal die Automobilindustrie wäre in der Lage, genügend Kupfer, Kobalt, Coltan und seltene Erden zu erschließen und technisch aufzubereiten, um ihre Flotten auf Elektromobile umzurüsten. Es fehlen schlicht die Rohstoffe hierzu. Die erneuerbaren Energien sind extrem  ressourcenintensiv und der Aufbau der Infrastruktur für erneuerbare Energien wird weiterhin riesige Mengen fossiler Energie verschlingen. Um die Preise für die Rohstoffe so niedrig zu halten, dass die Preise der erneuerbaren Energien jene der fossilen Energieträger nicht überschreiten, läuft bereits ein imperialistischer Wettlauf um die Kontrolle und Erschließung der Rohstofflagerstätten: Ein grüner Kapitalismus kann nur ein imperialistischer sein. Das Kapital trachtet systematisch danach, die Natur zu kolonisieren. Als Antwort auf die Zerstörung der Natur gibt es vermehrt Bestrebungen, auch die Natur beziehungsweise sogenannte „Dienstleistungen“ der Natur als Kapital zu betrachten. Voraussetzung dafür ist allerdings, die „Dienstleistungen“ in vergleichbare Einheiten zu zerstückeln, um sie zu messen und schließlich bewerten zu können. Die Bewertung soll durch den Markt geschehen. Die oberflächliche Begründung: Was nichts wert ist, wird nicht geschützt. Diese erweiterte Stufe der Kolonisierung der Natur dient nicht dem Schutz von Ökosystemen, sondern schafft vielmehr eine neue Anlageklasse. Sie bietet dem Finanzkapital – organisiert in Banken, Fonds, Altersvorsorgekassen, großen Unternehmen aller Art und vermögenden Individuen – eine neue Möglichkeit, Erträge in Form von Zinsen und Renten zu erzielen.[29]

Brüche im Erdsystem – Brüche in der Gesellschaft

Die grün-kapitalistische Modernisierung wird Prozesse der Barbarei und der neokolonialen Ausplünderung befördern. Darauf mit sogenannten linken Green New Deals zu antworten, ist der Situation nicht angemessen. Denn grundsätzlich gehen alle Varianten eines Green New Deal davon aus, dass sich eine sozial-ökologische Konfiguration der kapitalistischen Produktionsweise realisieren lasse. Die ökonomischen Spielräume hierfür bestehen nicht, weil das Produktivitätswachstum zu gering ist und das Kapital seine Profiterwartungen bei den erneuerbaren Energien nicht befriedigt sieht. Alle Vorschläge für Green New Deals sind ökologisch ungenügend, da sie die naturzerstörende Akkumulation des Kapitals nur moderieren, nicht aber überwinden wollen.[30] Jede Orientierung, die auf eine sozial-ökologische Reform oder Transformation des Kapitalismus setzt, ist im Anthropozän-Kapitalismus auf Sand gebaut und wird in grauenvolle Niederlagen führen.

Um die Erderhitzung auf 1,5° Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen, ist ein weltweiter kompletter und rascher Rückbau des fossilen Sektors nötig.[31] Allerdings werden über 80 Prozent des Weltenergiebedarfs durch fossile Energieträger gedeckt. Öl und Kohle fließen
gewissermaßen wie Blut durch den gesellschaftlichen Organismus. Daher lässt sich die Erderhitzung nur dann abbremsen, wenn es gelingt, in kürzester Zeit eine historisch einmalige gesellschaftliche Umorientierung auf Weltebene durchzusetzen. 

• Sozial-ökologischen Reformbündnissen in den imperialistischen Ländern fehlt jede materielle und ökonomische Grundlage. Es ist offensichtlich, dass die imperialistischen Länder einschließlich China ihren gesamten Produktionsapparat, ihre Transport- und
Logistiksysteme sowie die gesellschaftliche Reproduktion vollständig umbauen müssen. Dieser industrielle Umbau ist aber nur möglich, wenn es gelingt, die großen fossilen Konzerne gesellschaftlich demokratisch anzueignen und zu kontrollieren.
• Jede ökosozialistische Perspektive muss von den globalen Zusammenhängen ausgehen. Die Entwicklung eines imperialistischen „grünen“ Kapitalismus gilt es zu stoppen. „Netto Null“ ist Bestandteil einer imperialistischen Klimapolitik. Die Klimabewegung sollte sich diesem
Ablenkungsmanöver widersetzen.

Quellen und Anmerkungen
[1] Harvey 2014; Chesnais 2016; Mahnkopf 2020
[2] Chesnais 2016
[3] Roberts 2021
[4] Chesnais 2016
[5] Harvey 2003; Zeller 2004, 2011
[6] Husson 2009
[7] Zeller 2011
[8] Durand und Gueuder 2018
[9] Zeller 2010
[10] Husson 2021
[11] Harvey 2014
[12] Altvater 2010: 138f; Malm 2016: 11f, 16
[13] Angus 2019
[14] Foster, et al. 2010: 17f, 47

[15] Marx 1894: 821
[16] Foster, et al. 2010: 46
[17] Chesnais und Serfati 2004
[18] Foster, et al. 2010: 345ff, 370
[19] Rockström, et al. 2009; Steffen, et al. 2015
[20] Verschiedene kritische Autor:innen ersetzen den Begriff des Anthropozäns durch Kapitalozän.
Sie argumentieren, nicht die Menschheit, sondern die Zwänge der Kapitalherrschaft hätten das
Erdsystem so stark verändert. Das ist richtig. Dennoch halte ich explizit am Begriff Anthropozän
fest und folge damit Ian Angus (Angus 2020). Erstens erkennen auch die meisten
Erdsystemforscher:innen eindeutig die Rolle des kapitalistischen Systems. Zweitens ergibt es
keinen Sinn, einen neuen Begriff für die kapitalistische Produktionsweise in die Runde zu werfen.
Und drittens werden Bedingungen des Anthropozäns noch Jahrhunderte und Jahrtausende anhalten,
sogar, wenn wir längst eine ökosozialistische Gesellschaft erkämpft haben werden.
[21] OPEC 2021: 58
[22] Griffin 2017: 7
[23] Heede 2019; vgl. auch Griffin 2017: 8
[24] urgewald 2020
[25] urgewald 2021
[26] https://assets.bbhub.io/professional/sites/24/BNEF-Climate-Policy-Factbook_FINAL.pdf
[27] https://www.ft.com/content/b696720f-fed4-4f4b-acbd-302f8935c73e
[28] Jacobs, et al. 2020: 16
[29] Zeller 2010
[30] Siehe hierzu meine beiden Artikel über linke Green New Deal Projekte (Zeller 2021a, 2021b).
[31] In meinem Buch „Revolution für das Klima“ habe ich eine ökosozialistische
Übergangsstrategie umfassend dargelegt (Zeller 2020).

 
 
Christian Zeller
Christian Zeller lehrt Wirtschaftsgeographie und Global Studies an der Universität Salzburg. Er publizierte zu global ungleicher Entwicklung, Bedeutungszunahme des Finanzkapitals, Inwertsetzung der Natur, Stadtentwicklung und Wirtschaftsdemokratie. Er setzt sich für eine
transnationale ökosozialistische Bewegung von unten ein. Christian engagiert sich in der politischen Bewegung Aufbruch für eine ökosozialistische Alternative und ist Autor/Koautor mehrerer Bücher, kürzlich erschienen etwa: „Corona, Krise, Kapital. Plädoyer für eine solidarische Alternative in Zeiten der Pandemie.“ (2020, mit Verena Kreilinger, Winfried Wolf) sowie „Revolution für das Klima. Warum wir eine ökosozialistische Alternative brauchen.“ (2020) © Foto Kain