Tatsächlich wäre ohne dieses Gas eine Dekarbonisierung wichtiger Industrieprozesse kaum möglich. Das gilt für die Stahlproduktion im Hochofenprozess, wo Wasserstoff den bisher verwendeten klimaschädlichen Koks ersetzen kann. Dann ist da noch die Chemieindustrie, die H2 u.a. für die Herstellung von Kunststoffen und Dünger einsetzt. Bisher wird der Wasserstoff aus Erdgas produziert, was sehr hohe CO2-Emissionen zur Folge hat. Alternativ ließe sich H2 in Elektrolyseanlagen aus Wasser mit erneuerbarem Strom herstellen. Weiter gibt es verschiedene industrielle Hochtemperaturprozesse, bei denen erneuerbarer Wasserstoff bisherige fossile Brennstoffe ersetzen könnte. So z.B. beim Brennen von Zement, Kalk, Keramik oder auch bei der Herstellung von Buntmetallen, wie Kupfer und Aluminium.
Wasserstoff sollte sicher auch für schwere Sattelschlepper eingesetzt werden, die extrem viel Energie fressen. Wollte man die mit Batterien bereitstellen, bräuchten die LKWs dafür fast schon einen eigenen Anhänger. Daher gehen die meisten ExpertInnen davon aus, dass für schwere LKWs Brennstoffzellen, die mit Wasserstoff versorgt werden, die passende Lösung sind.
Das ist aber bei weitem nicht alles. Auch für das klimaneutrale Fliegen und die Dekarbonisierung des Schiffsverkehrs braucht man Wasserstoff. Aber nicht für den direkten Einsatz, sondern als Vorprodukt für die Herstellung von grünem Kerosin und klimaneutralen Schiffskraftstoffen.
Und dann braucht man noch Wasserstoff für die Energielangzeitspeicherung gegen Dunkelflauten. Darunter versteht man die Zeit eines anhaltenden Hochdrucks in den Wintermonaten mit viel Nebel, bedecktem Himmel und wenig Wind. Dann liegt die Erzeugung erneuerbaren Stroms auf einem Minimum. Die Versorgung kann aber mit gespeichertem Wasserstoff gesichert werden, der dann in Kraftwerken wieder zu Strom umgesetzt wird.
Die Betrachtung zeigt, dass wesentliche Industriegüter nur mit Wasserstoff klimaneutral hergestellt werden können. Die Frage ist, ob davon auch die erforderlichen Mengen zur Verfügung stehen. Schließlich hat der Kapitalismus die Produktion zahlloser nützlicher und nutzloser Güter immer weiter erhöht. Um nur zwei Beispiele zu nennen: 1991 gab es in Deutschland 31 Millionen Pkws, aber im Jahr 2022 waren es bereits 48,5. Oder die Energie fressende Kunststoffherstellung stieg von 1990 bis heute um den Faktor 2,3. Wollte man die gesamte Industrieproduktionen im heutigen Umfang aufrecht erhalten, dann bräuchte man allein für die Herstellung des dafür benötigten Wasserstoffs überschlägig rund 850 TWh Strom extra. Kerosin und Schiffstreibstoffe wären aber in dieser Zahl immer noch nicht enthalten. Um das richtig einordnen zu können: Die Stromerzeugung in Deutschland lag in den letzten Jahren gerade mal bei rund 520 TWh. Davon stammte sogar nur die Hälfe aus erneuerbaren Energien. Doch es geht nicht nur um Strom. Man muss den gesamten heutigen fossilen Energieverbrauch ersetzen. Eine Zahl, die das wiedergibt, ist der Endenergieverbrauch aller in Deutschland produzierten Güter und Dienstleistungen. Er liegt seit Jahren bei etwa 2500 TWh. Fast alles aus fossilen Energien. Diese Menge muss man mindestens aus erneuerbarem Strom und Wasserstoff bereitstellen. Aber das Potenzial für erneuerbaren Strom in Deutschland liegt nach Angaben wissenschaftlicher Institute bestenfalls bei 1000 TWh.
Gerne wird behauptet, dass erneuerbare Energien unbegrenzt zur Verfügung stehen. Das stimmt aber nur bedingt. Kohle, Öl und Gas wurden durch Millionen andauernde geologische Prozesse in großen Lagerstätten konzentriert, auf die die Menschheit bisher einfach zugreifen konnte. Erneuerbare Energien müssen dagegen mit einem großen technischen und flächenmäßigen Aufwand kleinteilig und mühsam eingesammelt werden. Um daraus dann noch Wasserstoff zu gewinnen, steigert den Aufwand noch einmal gewaltig.
Tatsächlich hat Wasserstoff ein wesentliches Problem. Seine elektrolytische Herstellung aus Wasser ist mit hohen Energiewandlungsverlusten verbunden. Dazu kommen Verluste durch Transport und Verteilung, da er dafür unter hohem Druck zwischengespeichert werden muss. Zusätzlich ist der Einsatz von Wasserstoff in Brennstoffzellen für LKWs und seine direkte Verbrennung in Kraftwerken zur Stromerzeugung mit weiteren Energieverlusten verbunden. Das heißt, von der Energie, die man zur Wasserstofferzeugung vorne reinsteckt, kann man am Ende des Prozesses überhaupt nur noch einen kleinen Teil nutzen. FDP-Chef Lindner und andere haben öffentlich geäußert, dass sie mit Wasserstoff Autos betanken oder Häuser heizen wollen. Das sind in Wahrheit völlig unrealisierbare Phantasien.
Die bürgerlichen Politiker gehen heute davon aus, dass der für die Industrie benötigte Wasserstoff importiert werden kann. Habeck vereinbart genauso wie sein Vorgänger Altmaier immer neue Wasserstoff-Kooperationsvereinbarungen. So mit den Regierungen der Golfstaaten, mit Marokko, Australien, Kanada oder Namibia. Vermutlich dürften diese Absichtserklärungen das Papier nicht wert sein, auf dem sie geschrieben stehen. Denn es fehlen alle wesentlichen infrastrukturellen Voraussetzungen für den Import von Wasserstoff. Das Problem: Die H2-Transporte aus abgelegenen Regionen sind aufgrund der deutlich geringeren Energiedichte des Gases im Vergleich zu Öl nur machbar, wenn H2 verflüssigt wird. Aber die Transporte von flüssigem Wasserstoff (Liquefied H2, LH2) benötigen eine völlig neue Infrastruktur als diejenigen, die bei verflüssigtem Erdgas zum Einsatz kommen. Für LH2 sind Spezialkühlschiffe notwendig, denn die Temperatur der Flüssigkeit muss konstant bei minus 253° C gehalten werden. Und es gibt noch weitere Probleme. Trotz der Isolierung der LH2-Ladetanks, die den Zutritt von äußerer Wärme begrenzen soll, gelangen stets geringe Wärmemengen in die Tanks und führen zu einer leichten Verdampfung der H2-Gase. Dieses sog. Boil-off-Gas sammelt sich an und muss dann unbedingt aus den Tanks entfernt werden, damit der Tankdruck nicht über die zulässige Grenze steigt. Die so freigesetzten Gasmengen sind dabei so groß, dass man ihre Rückverflüssigung noch auf dem Schiff durchführen muss. Aber das ist eine komplexe Technologie und sie bringt wieder Energieverluste mit sich.
Angesichts dieser Schwierigkeiten wundert es nicht, dass es bisher weltweit erst ein einziges Schiff gibt, das Flüssigwasserstoff transportieren kann: Der Tanker Suiso Frontier, der von Kawasaki Heavy Industries entwickelt und 2021 fertiggestellt wurde. Vom Volumen ist er eine Nussschale. Kawasaki erklärte im Juli 2021 zwar, dass es ein größeres LH2-Schiff bauen wolle. Aber die geplante Größe ist im Verhältnis zu Öltankern immer noch klein, so dass viele hundert Tanker für den LH2-Transport nach Deutschland notwendig wären. Die Frage stellt sich, woher alle diese Schiffe, von denen bisher noch nie auch nur ein einziges gebaut wurde, in der kurzen Zeit bis 2045 herkommen sollen. Es geht ja nicht nur um Deutschland. Andere Industrieländer, wie Japan oder die gesamte EU wollen schließlich auch H2 importieren. An dieser Stelle sollten langsam erste Zweifel am zeitnahen Aufbau einer Wasserstoff-Infrastruktur aufkommen.
Alternativ ließe sich z.B. der in Australien produzierte Wasserstoff chemisch in Ammoniak (NH3) umwandeln. Dieses Gas könnte dann mit Tankern nach Deutschland gebracht und hier wieder in Wasserstoff zurückverwandelt werden. Das sieht auf dem Papier gut aus, aber die Energieverluste für die chemische NH3-Herstellung und seine Rückumwandlung sind erheblich. Damit wäre nichts gewonnen. Gleiches gilt für das vorübergehende Andocken von Wasserstoff an eine chemische Trägerflüssigkeiten (LOHC – liquid organic hydrogen carriers). Auch hier treten hohe energetische Verluste auf.
Aus all den Betrachtungen ergibt sich eine klare Schlussfolgerung: Es ist auf absehbare Zeit nicht möglich, große Wasserstoffmengen aus sonnigen Regionen des globalen Süden nach Deutschland oder andere Länder Europas zu exportieren. Und auch hierzulande sind die erneuerbaren Energiemengen nicht vorhanden, um alle die heute laufenden Produktionsprozesse mit Wasserstoff klimaneutral fortsetzen zu können. Die Konsequenz wird sein: Ein klimaneutrales Deutschland kann schlicht die Industrieproduktion auf dem heutigen überhöhten Niveau nicht mehr fortsetzen. Das gilt beispielsweise für die unbegrenzte Autoproduktion, die ausufernde Flugzeugnutzung, den Online-Handel, die Wegschmeißverpackungswirtschaft oder die Flut an Kunststoffprodukten. Hier ergibt sich genauso wie bei der begrenzten Rohstoffverfügbarkeit ein K.O.-Kriterium für die Ökonomie des Kapitalismus. Die Gesetze dieser Wirtschaft erfordern ein immer weiteres, unbegrenztes Wachstum, denn die realisierten Profite benötigen auch immer neue Kapitalanlagesphären. Gibt es die nicht mehr, kommt es unvermeidbar zu einer Wirtschaftskrise mit schweren Erschütterungen. Das zeigt sich bereits, wenn es zu kleineren ökonomischen Wachstumsdellen kommt. Das dürfte aber nichts sein, gegenüber den chaotischen Entwicklungen, die beim ökologisch erforderlichen Schrumpfen der Produktion eintreten werden. Ganz abgesehen davon, dass sich die Kapitaleigner mit Klauen und Zähnen gegen jeden Rückbau ihrer auf Profite ausgerichteten Ökonomiestruktur zur Wehr setzen werden. Wenn man dann am ökologischen Umbau festhalten und nicht kapitulieren will, wird man de facto zu Maßnahmen übergehen müssen, die zur Abschaffung des Kapitalismus führen, egal ob man das vorher wollte oder nicht.
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