Der in Brüssel gebaute Audi Q8 e-tron wirkt mit einer Länge von fast 6 Metern und einer Breite von 2 Metern wie aus der Zeit gefallen. Das Fahrzeug wiegt 2,5 Tonnen und kostet zwischen 75.000 bis 100.000 Euro. Es wundert nicht, dass das Fahrzeug nur einen geringen Absatz gefunden hat. Dazu kommen noch zahlreiche Kundenbeschwerden über Mängel des Automobils und seinen hohen Energieverbrauch. Offensichtlich hat der Audi-Konzern, nachdem er jahrelang die Elektromobilität ignoriert hat, auf die Schnelle ein Elektroauto zusammengebastelt. Die Zeche sollen nun die Beschäftigten zahlen. Nach Gewerkschaftsangaben will der Audi-Konzern die KollegInnen scheibchenweise entlassen: Bis Ende Oktober 1500, dann bis Mai 2025 weitere 1100. Ende 2025 sollen dann die letzten 300 in die Arbeitslosigkeit folgen. Die Schließung von Audi-Forest dürfte Modellcharakter haben. Das hier erprobte Verfahren soll dann auf andere VW-Standorte in Deutschland übertragen werden. Sorgen müssen sich u.a. die 11.000 Beschäftigten im Elektroautowerk in Zwickau machen, wo der ID.3, der ID.5 und der Q4 e-tron produziert werden. Auch für diese E-Fahrzeuge ist die Nachfrage stark eingebrochen.
Die demonstrierenden KollegInnen forderten vor allem von der Politik in Belgien und von den EU-Chefs, dass sie die Industriearbeitsplätze schützen sollen. Kämpferische GewerkschafterInnen wiesen immer wieder auf eine Lösung hin, die über bloße Subventionen und Steuergeschenke hinausgeht und sich geradezu aufdrängt: Die Verstaatlichung des Audi-Werks in Forest.
Die drohende Schließung des Audi-Werks in Brüssel ist nicht nur ein wirtschaftliches, sondern auch ein soziales Problem. Die Region könnte einen ihrer wichtigsten Industriestandorte verlieren, an dem viele tausend Beschäftigte in den Zulieferbetrieben hängen. Angesichts dieser dramatischen Situation erscheint eine Verstaatlichung von Audi Forest als sinnvolle und nachhaltige Alternative. Ein Solidaritätsschreiben der Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes in Brüssel erinnert daran, dass der belgische Staat 2008 bereit war, Banken zu verstaatlichen, um das Finanzsystem zu retten. Jetzt sei es an der Zeit, eine ähnliche Maßnahme zur Rettung der Industriearbeitsplätze zu ergreifen: „Wir müssen heute für die Verstaatlichung von Audi kämpfen, denn sie ist der einzige Ausweg, um die Zukunft der Region zu sichern.“
Doch was soll dann produziert werden? Es ist offensichtlich, dass die Herstellung von Luxus-Elektro-SUVs am Standort Forest völlig gescheitert ist. Außerdem befindet sich die europäische Automobilindustrie in einer tiefen wirtschaftlichen Krise mit sinkenden Absatzzahlen. Mitten in die Auseinandersetzung um die Entlassungen bei Audi Forest platzte dann eine Meldung, dass der chinesische Premium-Autobauer NIO Interesse am Werk hätte. Das ist durchaus vorstellbar, denn die EU will den heimischen Automarkt mit hohen Zöllen gegen die chinesische Konkurrenz schützen. Um diese zu umgehen, plant bereits der chinesische BYD-Konzern eine eigene Produktion in Ungarn aufzubauen. Gleiches gilt für den Hersteller Chery, der in Spanien ein Werk plant. Wären mit einer Übernahme des Audi-Werks durch NIO wenigstens die Arbeitsplätze gesichert? Leider nein. NIO würde das Werk für eine sog. CKD-Fertigung nutzen. Das steht für „Completely Knocked Down“ und bedeutet, dass die Einzelteile der Fahrzeuge aus China geliefert und in Belgien nur noch zusammengesetzt werden. Es wäre ein reines Endmontagewerk mit sehr geringem Beschäftigungseffekt. In der belgischen Presse ist von ca. 500 Beschäftigten die Rede. Das würde aber immer noch die Entlassung von über 80% der heutigen Audi-Beschäftigten bedeuten, und auch die Tausenden von Zulieferarbeitsplätzen würden nicht mehr benötigt.
Wenn die Beschäftigten von Audi Forest auf kein chinesisches Wunder hoffen können, welche Alternativen gibt es dann? Aus ökologischer Sicht ist die Antwort klar. Die sich verschärfende Klimakatastrophe erfordert, dass die Zahl der Autos deutlich reduziert wird. Das bedeutet aber auch, dass Alternativen für eine nachhaltige Mobilität geschaffen werden müssen. Dazu gehört der Ausbau des öffentlichen Bus- und Bahnverkehrs. Die belgischen Umweltverbände weisen darauf hin, dass dafür im Land ein großer Bedarf besteht. Allerdings wurde ausgerechnet der belgische Bushersteller Van Hool in diesem Jahr in die Insolvenz gezwungen. Das Unternehmen mit Sitz in der Region Antwerpen beschäftigte 2500 MitarbeiterInnen. Van Hool hatte zwar Aufträge für die Produktion von Elektrobussen, aber nicht zuletzt fehlte dafür das Know-how. Umgekehrt hätte die Belegschaft von Audi eigentlich die Kompetenz, Elektrobusse für den Stadtverkehr herzustellen. Sie hat Erfahrung mit dem Einbau elektrischer Antriebe in Fahrzeuge, mit elektronischen Steuerungssystemen, mit der gesamten Blechbearbeitung, mit dem Einsetzen von Scheiben und mit der Innenausstattung von Fahrzeugen. Insbesondere im Zusammenspiel mit den noch verbliebenen MitarbeiterInnen von Van Hool könnte sich daraus eine Kompetenz für Elektrobusse entwickeln. Voraussetzung ist allerdings eine Verstaatlichung von Audi Forest und die Bereitschaft des belgischen Staates zu einer Anschubfinanzierung. Mit einer öffentlichen Übernahme könnten Gewerkschaften, Arbeitnehmer und Gesellschaft gemeinsam einen Plan entwickeln, der die Arbeitsplätze im Audi-Werk retten könnte und gleichzeitig einen Beitrag zur Lösung der drängenden Mobilitätsprobleme liefert. Der neue Abgeordnete der Parti du Travail de Belgique, Robin Tonniau, der elf Jahre in der Automobilindustrie gearbeitet hat, sagte zu Recht über Audi Forest: „Dies ist ein hochmodernes Werk, in dem alles produziert werden kann. Ich habe in diesem Unternehmen gearbeitet und weiß, wovon ich spreche.“
Dass die Beschäftigten eine Entlassung nicht hinnehmen müssen, zeigt der Automobilzulieferer GKN in Florenz. Im Jahr 2021 wurde die Belegschaft per Post darüber informiert, dass sie geschlossen entlassen werden sollte. Zuvor hatte das Unternehmen noch großzügige staatliche Subventionen von der Politik erhalten. Damit hoffte die Politik, das Management zu besänftigen und den Standort zu sichern. Doch es half alles nichts. Die Wut in der Belegschaft war groß nach der Kündigung per Post. Nach einer Betriebsversammlung besetzten die KollegInnen kurzerhand ihre Fabrik. Sie ist bis heute in ihrer Hand, und die MetallarbeiterInnen selbst haben die Produktion wieder aufgenommen, um Elektrobatterien und Solarmodule herzustellen. Ein Beispiel, das Schule machen sollte und das es wert ist, weiter verbreitet zu werden. Die von den ArbeiterInnen kontrollierte Fabrik ist eng mit den sozialen Bewegungen verbunden und verspürt eine europaweite Solidarität. Und die Entwicklung bei GKN könnte auch ein Vorbild für die Beschäftigten bei Audi in Brüssel sein.
Auch das belgische Audi-Werk hat in den vergangenen Jahren immer wieder großzügige Subventionen und Steuervergünstigungen erhalten, die letztlich nicht zur nachhaltigen Sicherung der Arbeitsplätze beigetragen haben. Vertreter der sozialistischen Gewerkschaft FGTB wiesen auf diese Steuergeschenke und staatlichen Beihilfen für Audi hin: 157,7 Millionen Euro allein in den letzten sechs Jahren. Umgerechnet auf die 3.000 Beschäftigten am Standort sind das mehr als 52.000 Euro pro Kopf. Doch offensichtlich hat es nichts gebracht, den VW-Konzern zu verhätscheln. Dieselbe Erfahrung mussten zuvor die Beschäftigten des Busherstellers Van Hool machen. Die staatlichen Subventionen flossen letztlich nur in die Taschen der Aktionäre. Die Konzerne entscheiden nach rein kapitalistischen Profitgesichtspunkten, und eine Politik der „Geldgeschenke“ kann nicht verhindern, dass Werke geschlossen und die Produktion ins Ausland verlagert wird.
Verstaatlichung, so die Forderung der Gewerkschaften, würde dagegen nicht nur Arbeitsplätze sichern, sondern auch eine demokratische Kontrolle der Produktion ermöglichen. Es ginge darum, Industriepolitik im Interesse der gesamten Gesellschaft zu gestalten und nicht den Profitinteressen multinationaler Konzerne zu folgen.
Die belgische Regierung würde eine Verstaatlichung aber nur unter massivem Druck umsetzen. Bei den Audi-Beschäftigten handelt es sich aber nicht nur um 440 Personen wie bei GKN, sondern um Tausende. Dazu kommen die Beschäftigten bei den Zulieferern. Gemeinsam ließe sich ein gewaltiger Druck auf der Straße und in den Betrieben aufbauen, der das politische Kräfteverhältnis schnell ändern könnte
Menü
Newsletter
Bleib auf dem aktuellen Stand und trage Dich in unserem Newsletter ein.