Die Ukraine als Spielball der imperialistischen Lager

Nein zu Putin, nein zu Trump, nein zur EU

Claus Ludwig, Köln

Dass das Gespräch zwischen Trump und Selensky in einem nie dagewesenen Eklat endete, hat in der EU Entsetzen ausgelöst. Noch-Außenministerin Baerbock spricht vom “Zeitalter der Ruchlosigkeit”. Trump wird beschuldigt, die Ukraine fallen zu lassen und sich mit dem Putin-Regime gemein zu machen. Es ist die Rede von “Imperialismus”. Zurecht. Die Trump-Regierung hat die Ukraine unter Druck gesetzt, als Vorleistung einen Rohstoff-Deal zum Vorteil der US-Konzerne abzuschließen. Doch das Problem mit diesem Narrativ ist: Nicht nur für Trump und Putin sind die Ukraine und die Ukrainer*innen Bauern im großen Schachspiel um Macht und Profite, auch für die EU.

www.bundesarchiv.de, Panzer Russland-Süd

Die Ukraine wird nicht erst jetzt durch Trump “verraten”. Das zynische Ringen um Macht und Einfluss verschärfte sich 2014, als EU und USA die Maidan-Proteste nutzten, um das Land aus der russischen Einflusszone herauszubrechen und Russland seinerseits Agenten und Milizen in den Donbass und auf die Krim schickte, um die Regionen abzuspalten. “Menschenrechte”, “Demokratie” oder “Schutz der Menschen im Donbass” waren für die konkurrierenden Lager die Vorwände, um ihren Einfluss in der Ukraine zu verteidigen und zu erweitern.
“Imperialismus” ist nicht das Verhalten einzelner Autokraten oder einzelner Länder, sondern das weltweite System, in dem wir leben. Die Konkurrenz der kapitalistischen Konzerne und Nationalstaaten um Absatzmärkte, Rohstoffe und Handelsrouten führt zu geopolitischen Konflikten der Nationalstaaten, zu Zöllen, Handelskriegen und heißen Kriegen. Die imperialistischen Länder kämpfen um Einfluss in schwächeren Staaten, die Konflikte konzentrieren sich oft auf die Grenzregionen zwischen den Staaten bzw. den Blöcken – wie die Ukraine, Taiwan oder den Nahen Osten.

Imperialistisches Weltsystem

Verschiedene imperialistische Mächte nutzen unterschiedliche Methoden, von wirtschaftlicher Einflussnahme über Versprechungen und Erpressungen bis hin zu direkter Gewalt. Die verschiedenen Länder und Blöcke versuchen, ihre Einflusszonen auszuweiten. Zwischen 1999 und 2009 wurde die NATO um neun Länder Richtung Osten erweitert. Der russische Imperialismus agierte besonders aggressiv, weil er den Verlust seiner Peripherie fürchtete und begann 2022 den Krieg gegen die Ukraine. EU und USA hatten es nicht nötig, beim Ringen um die Ukraine militärisch zu agieren, weil sie sich auf die Hoffnungen der Ukrainer*innen stützen konnten, dass es mit der Westbindung wirtschaftlich vorwärts gehen würde.
EU und USA sahen den ukrainischen Widerstand gegen die russische Invasion als Chance, die russischen Truppen abzunutzen, Russland zu isolieren und langfristig zu schwächen. Vor allem die USA wollten damit den russischen Verbündeten und US-Hauptrivalen China treffen und dem Xi-Regime vor Augen führen, dass eine Invasion Taiwans nicht akzeptiert würde.
Die herrschenden Klassen in den EU-Staaten, allen voran in Deutschland, sahen durch den russischen Überfall die Chance, eine massive Aufrüstung durchzusetzen, die zuvor zu massivem Widerstand geführt hätte. Die etablierten Parteien nutzten das Mitgefühl vieler Menschen für die Ukrainer*innen – und die Abwesenheit jeglicher Opposition – aus, um das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr auf den Weg zu bringen.
Die Bundesrepublik war immer ein ökonomischer Riese, aber ein militärischer Zwerg. Das genügte in Zeiten von Neoliberalismus und freiem Welthandel. In der Ära der zugespitzten imperialistischen Konflikte braucht jede herrschende Klasse einen militärisch starken Staat, um die eigenen wirtschaftlichen Interessen durchzusetzen.
Die Ukraine wurde massiv bewaffnet und ermutigt standzuhalten. Zu Beginn gab es dafür große Zustimmung in der Ukraine, weil Putin die gesamte Ukraine unter seine Kontrolle bringen wollte und die Menschen nicht unter seinem Besatzungsregime leben wollten. Den Strategen der NATO muss allerdings klar gewesen sein, dass die Ukraine einen Abnutzungskrieg gegen Russland nicht militärisch gewinnen und die Krim und Gebiete im Osten nicht zurückerobern kann. Die offizielle Sprachregelung war deshalb nicht: “Russland muss den Krieg verlieren”, sondern “Russland darf den Krieg nicht gewinnen”. Ein “Deal” zu einem späteren Zeitpunkt war in dieser Formulierung schon angelegt.

Fokus auf Asien

Der Plan von EU und USA, Russlands Armee und Wirtschaft abzunutzen, ging nur zur Hälfte auf. Die Kosten und Verluste der russischen Armee wurden zwar in die Höhe getrieben, aber dank der Handelsverbindungen zum Rest der Welt außerhalb Europas und der USA lief die russische Ökonomie weiter, die Umstellung auf Kriegswirtschaft funktionierte und die Armee wurde nicht strukturell geschwächt. Durch die erzwungene Entkopplung vom Westen wurde die Integration Russlands in den chinesischen Block vorangetrieben und die Kooperation mit Iran und Nordkorea intensiviert.
Seit dem Scheitern der ukrainischen Offensive 2023, zu welcher die NATO-Verbündeten gedrängt hatten, ist die ukrainische Armee auf einem langen Rückzug. Ein Kollaps der Front ist zwar nicht absehbar, aber sie wird mehr und mehr eingedrückt. In der Ukraine ist die Stimmung gekippt. Viele Ukrainer*innen sind nach Umfragen bereit, auf Gebiete zu verzichten, wenn der Krieg aufhört. Zehntausende verstecken sich vor den Rekrutierungs-Trupps oder verlassen ihre Einheiten. Es gab die ersten Bombenanschläge auf Rekrutierungsbüros. Viele Ukrainer*innen sind nicht mehr bereit, in einem nicht gewinnbaren Krieg für ein zunehmend repressives und korruptes Regime zu sterben.
Russlands Angriff hatte zunächst das westliche Bündnis unter der Führung der USA näher zusammenrücken lassen und zu einer Renaissance des “Transatlantischen” geführt. Doch vor dem Hintergrund der Krise der ukrainischen Armee hat die herrschende Klasse in den USA einen harten Schwenk vollzogen. Trump will die schon unter Obama begonnene Strategieänderung konsequent umsetzen: Die Konzentration auf Asien (“pivot to Asia”). China ist der Hauptkonkurrent des US-Imperialismus, dieser soll ökonomisch und militärisch abgewehrt werden. Ein anhaltender militärischer Konflikt in Europa ist dafür nicht zielführend. Außerdem wurden die Hauptgeschäfte in Osteuropa nicht von US-Konzernen, sondern von europäischen Unternehmen gemacht. Die Trump-Administration versucht, den russischen Imperialismus durch Verhandlungen und Kompromisse von China wegzulocken. Ob das angesichts der engen Integration des Bündnisses China-Russland-Nordkorea-Iran gelingen kann ist fraglich, die Methode von Trump ist jedoch die des “pragmatischen Imperialismus” – trial and error.

Krawall im Weißen Haus

Trump setzte sofort nach Amtsantritt die EU und die Regierung Selensky massiv unter Druck. Europa sollte die Sicherheitsgarantien selbst klären, z.B. “Friedenstruppen” in die Ukraine schicken. Die Ukraine sollte die Realitäten anerkennen und einen Waffenstillstand entlang der derzeitigen Frontlinie akzeptieren. Im saudi-arabischen Riad vereinbarten die Außenminister Rubio (USA) und Lawrow (Russland) ohne die Teilnahme von EU und Ukraine, dass es in Richtung Waffenstillstand gehen sollte. Trump lobte das Regime in Moskau und bezeichnete Selensky als “Diktator”.
Der Ukraine legte er ein Papier zur kolonialen Ausplünderung der Rohstoffe des Landes durch US-Konzerne auf den Tisch. Selensky ließ sich trotzdem auf Verhandlungen ein, in der Hoffnung, im Gegenzug für gute Geschäfte gäbe es US-Garantien für die Ukraine. Die Ukraine verhandelte, einige der extremsten Maßnahmen zur kolonialen Unterwerfung der Ukraine wurden fallengelassen und Selensky reiste zur Vertragsunterzeichnung nach Washington.
Dort spielten sich vor den Kameras der gesamten Welt Szenen ab, wie man sie noch nicht gesehen hatte. Selensky verlangte Garantien durch die USA, Trump und Vance beharrten kühl auf ihren Vorstellungen von einem “Deal” mit Russland. Das Gespräch eskalierte. Trump zeigte, wer der Boss ist und warf Selensky aus dem Weißen Haus.
Die Welt war geschockt über dieses bizarre Schauspiel, Journalist*innen und Politiker*innen empörten sich über Trump und solidarisierten sich mit Selensky, sprachen von einer Inszenierung. Doch ob inszeniert oder spontan: Hinter dem Streit steht ein handfester Interessenkonflikt um unversöhnliche politische Positionen. Trump begann zunächst mit Schmeicheleien über die Tapferkeit der ukrainischen Soldaten. Selensky sagte, Putin sei ein “Terrorist” und “Killer”, mit ihm könne es keine Kompromisse über Territorien geben. Er beharrte auf dem vollständigen Abzug der russischen Truppen. Doch Trumps gesamtes Agieren basiert auf der Idee, dass ein Kompromiss mit dem Putin-Regime gefunden werden muss. Selensky griff damit die USA frontal an. Trump ist ein Egomane, der hart am Wahnsinn segelt. Doch objektiv ist die Vorstellung noch verrückter, dass es möglich sei, die russischen Truppen militärisch aus dem Donbass und der Krim zu vertreiben.
Warum hat Selensky diese Position eingenommen? Eine Erklärung ist die innenpolitische Lage. Er steht unter Druck. Zwar wäre ein Waffenstillstand für große Teile der ukrainischen Bevölkerung eine enorme Erleichterung. Gleichzeitig akzeptiert ein Teil der Frontsoldaten und der Bevölkerung möglicherweise nicht, dass all die Opfer umsonst gewesen sein sollen, angefeuert von der extremen Rechten. Es könnte eine ukrainische Variante der „Dolchstoßlegende” entstehen. Das war nach 1918 die zentrale Propaganda-Botschaft der deutschen Rechten: Die Truppen wären “im Felde unbesiegt”, das Deutsche Reich hätte den Krieg nur verloren, weil die Sozialdemokratie die Niederlage diplomatisch akzeptiert und somit der Armee den Dolch in den Rücken gestoßen hätte. Selensky hatte die extreme Rechte hofiert, ihr Macht und Einfluss im Staatsapparat gegeben, z.B. das Asow-Bataillon in die Armee integriert. Selensky könnte bei einem Waffenstillstand zum neuen Feindbild dieser extremen Rechten werden, weil er die Ukraine angeblich “verraten” hat und den Ausverkauf akzeptiert. So oder so, wenn russische Truppen in einem Teil der Ukraine und ein Ausverkauf von Rohstoffen an die USA das einzige Ergebnis nach drei Jahren Krieg mit unvorstellbaren Opfern wäre, wäre das das politische Ende von Selensky.

EU zwischen Panik und Rüstungsboom

Hektisch werden seitens der europäischen Länder Gipfeltreffen organisiert. Diskutiert wird darüber, ob und wie es möglich ist, den Krieg ohne die Unterstützung der USA fortzuführen – und inzwischen auch, wie es langfristig um das atlantische Bündnis steht. Die herrschenden Klassen in der EU schwanken zwischen Panik darüber, dass der Große Bruder aussteigt und dem Ergreifen der Gelegenheit zur Durchsetzung riesiger Rüstungsprogramme.
Ihr Narrativ: Alleine gelassen von den USA muss jetzt “Europa” handeln, die Ukraine unterstützen und aufrüsten. Die Ukraine werde von Trump verraten und an Putin verscherbelt. 2022 entstand das Bild einer zweigeteilten Welt: hier die “Demokratien”, dort die “Autokratien” China und Russland, die den Frieden bedrohen. Doch in der Realität bedrohen alle imperialistischen Lager den Frieden. Und alle Länder, auch die “Demokratien” werden in diesem Prozess der Militarisierung nach innen autokratischer.
Die deutsche Außenministerin Baerbock sprach bereits Mitte Februar gegenüber der US-News-Plattform Bloomberg davon, dass ein Paket im Umfang von 700 Milliarden Euro im Gespräch ist, um der Ukraine die Fortführung des Krieges zu ermöglichen und die EU-Staaten selbst massiv aufzurüsten. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen schlägt ein Paket von 800 Milliarden vor. Eine solche Summe würde dazu führen, dass die Begrenzung der Staatsschulden in der EU aufgehoben werden müsste. In jedem Land würde dies zu einem Großangriff auf die sozialen Sicherungssysteme führen.
Militärisch wäre es ein Plan aus der Hölle, er würde buchstäblich auf den Knochen der Ukrainer*innen ausgetragen. Egal, wie viele Waffen die Ukraine aus der EU bekäme: der Abnutzungskrieg gegen Russland ist für das Land nicht zu gewinnen, dafür fehlen die Menschen. Trumps Plan ist zynisch. Allerdings liegt ihm die Anerkennung der Realität zugrunde, dass die Ukrainer*innen nicht mehr können und der Kampf militärisch nicht zu gewinnen ist. Jede ernsthafte Anstrengung “Europas”, den Krieg ohne die USA fortzuführen und die russischen Truppen zurückzudrängen, würde daher die Beteiligung von Kampftruppen aus europäischen NATO-Staaten und damit die Eskalation hin zu einem europäischen Krieg auf die Tagesordnung setzen. EU-Staaten und Großbritannien scheinen dazu aktuell weder willens noch in der Lage zu sein. Die Debatte darüber könnte jeden Anschein eines “einigen Europas” sprengen. Aber es wäre die logische Konsequenz aus Selenskys Äußerungen und den Absichtserklärungen der EU.
Durch Trumps Schwenk ist deutlich geworden, dass es auch innerhalb der kapitalistischen Blöcke gegensätzliche Interessen gibt und jeder Nationalstaat für sich steht. Das heißt im Umkehrschluss allerdings nicht zwangsläufig, dass die Blöcke langfristig auseinandergerissen werden. In der Konkurrenz gegen den zentralen Rivalen China – und auch gegen Russland – wird der Druck erneut wachsen, dass die Mitglieder des transatlantischen Blockes zusammenrücken.

Klassenkampf statt Krieg

Können die Ukrainer*innen nur verlieren? Gibt es nur die Wahl zwischen der Fortführung des extrem verlustreichen Krieges und der Unterwerfung unter stärkerer Mächte? Die brutale Wahrheit ist: solange die Logik des Imperialismus gilt, sind das tatsächlich die Alternativen. Die Befreiung der Menschen in der Ukraine kann nicht durch den militärischen Kampf im Bündnis mit einer der konkurrierenden imperialistischen Blöcke erreicht werden.
Als Marxist*innen sehen wir den Kampf der ukrainischen Bevölkerung gegen den russischen Angriff, Besatzung und nationale Unterdrückung als legitim an. Dieser war jedoch von Beginn an überlagert durch die Rolle der NATO, die ihren Stellvertreterkrieg gegen Russland führte. Zu Beginn des Krieges gab es noch eigene Initiativen der ukrainischen Bevölkerung, doch der symmetrische Krieg der schweren Waffensysteme wurde immer mehr durch die NATO bestimmt – technisch, organisatorisch und militärisch. Dieser Krieg wurde nicht im Interesse der arbeitenden Klasse der Ukraine geführt, sondern im Interesse des Westen und der reichen Oligarchen der Ukraine.
Der vorgeblich “schnelle” und “effektive” Weg des NATO-geführten Krieges hat sich als blutige Sackgasse für die Arbeiter*innenklasse der Ukraine erwiesen und dazu geführt, dass Städte, Infrastruktur und Landwirtschaft in großem Ausmaß zerstört wurden. Ein politisch-sozialer Widerstand gegen die Besatzung mit den Methoden der arbeitenden Klasse – Streiks, Sabotage, politische Aufklärung und gezielte Partisanen-Tätigkeit – hätte einen langen Atem erfordert, aber am Ende zu weniger Zerstörung und Opfern geführt. Der Kampf um nationale und soziale Befreiung kann nicht als symmetrischer Krieg mit Hilfe eines angeblich “verbündeten” Imperialisten geführt werden, sondern nur als sozialer, als Klassenkampf.
Eine neu aufzubauende ukrainische Linke muss eine klaren Trennstrich ziehen und sich gegen die eigene herrschende Klasse und ihre Verbündeten stellen. Dazu gehört auch, sich gegen die Art der Kriegsführung zu wenden, gegen Wehrpflicht, gegen die Zwangsrekrutierung und für die Verteidigung der Desertierten, für Demokratie von unten in der Armee.
Solche Ideen hält die Regierung der Ukraine für gefährlich: Anfang Februar ging der Geheimdienst SBU gegen eine sehr kleine kommunistische Gruppe vor und nahm einige Mitglieder fest. Der Vorwurf: Sie hätte gegen die Wehrpflicht agitiert und dazu aufgerufen, “Soldatenkomitees” zu gründen, die kollektive Verweigerung von Kampfeinsätzen organisieren sollten. Diese Gruppe ist keineswegs “pro-russisch”, sondern lehnt den russischen Imperialismus ebenso wie die NATO ab. Dass sie Material der deutschen Rosa-Luxemburg-Stiftung dabei hatten, die mit der Partei Die Linke verbunden ist, wird vom Staat gegen sie verwendet.
Die ukrainische Linke sollte die gemeinsamen sozialen Interessen der arbeitenden und armen Menschen in den Mittelpunkt stellen und sich dagegen wenden, dass die Bevölkerung in “pro-westlich” und “pro-russisch” gespalten wird. Sie sollte die Idee einer militärischen Rückeroberung von Donbass oder Krim ablehnen. Natürlich ist die Besetzung dieser Gebiete durch den russischen Imperialismus illegitim. Doch Ansätze für die Befreiung von der Unterdrückung können nur in diesen Regionen selbst entstehen, wenn die arbeitende Bevölkerung sich organisiert und für ihre Interessen kämpft.
Es kommt auch darauf an, wie sich die russischen Soldat*innen verhalten. Wenn sich unter ihnen Unzufriedenheit entwickelt, sei es wegen der sozialen Lage in der Heimat oder der Situation vor Ort im Donbass, wird es für die lokale Bevölkerung möglich sein, die Truppen politisch zu neutralisieren. Ein Appell an die russischen Soldaten auf Basis ihrer Zugehörigkeit zur Arbeiter*innenklasse wäre der richtige Weg. Die einfachen Soldaten auf beiden Seiten verstehen sehr wohl, dass sie in diesem Krieg nichts zu gewinnen haben. Das Geschäft machen am Ende russische und ukrainische Oligarchen, westliche und östliche Konzerne.
Die Arbeiter*innenbewegung und Linke in Westeuropa hat leider keine klare Haltung zu diesem Krieg. Es wäre wichtiger denn je, gegen sämtliche Waffenlieferungen, gegen Aufrüstung und die Kriegspropaganda (“der Russe kommt bis 2029”) einzutreten. Das muss ergänzt werden mit einem Programm gegen die ökonomische Ausplünderung der Ukraine: für die Streichung der Schulden; nein zu kolonialer Ausbeutung durch Russland, USA und EU; Unterstützung für Beschäftigte in der Ukraine, die für bessere Lebensbedingungen und gegen den Ausverkauf kämpfen, für demokratische und gewerkschaftliche Rechte, gegen die Zwangsrekrutierung, für die Verteidigung der nach Europa Geflüchteten, gegen alle Versuche, sie zurückzuschieben.

Was macht Die Linke?

Die Linke muss jetzt Widerstand leisten gegen das Trommeln, dass “Europa” sich einig sein müsse und Trump der “Verräter” sei. Sie muss das Narrativ zurückweisen, dass allein Russland der imperialistische Aggressor sei und die imperialistischen Interessen der EU aufdecken. Sie muss offenlegen, dass das Beschwören von Europa vor allem der Durchsetzung umfassender Aufrüstungsprogramme dient. Auch dabei handelt es sich um Kriegsvorbereitung. Aufrüstung führt nicht zur Abschreckung, sondern erhöht die Kriegsgefahr.
Die Linke muss erklären, dass Imperialismus nicht eine Eigenschaft einzelner Regimes oder Herrscher ist, sondern die Fortsetzung der kapitalistischen Konkurrenz mit den Mitteln des Nationalstaates und am Ende des Militärs. Sie muss deutlich machen, dass die wirklichen Grenzen nicht zwischen Nationen, sondern zwischen den Klassen verlaufen, dass Solidarität mit der ukrainischen Arbeiter*innenklasse bedeutet, für ein Ende des Tötens einzutreten.
Die Linke war zu Recht gegen die Einführung der Schuldenbremse, weil damit die Kürzungspolitik Verfassungsrang bekommt. Jetzt will die kommende Koalition aus Union und SPD die Schuldenbremse lockern, um die Aufrüstung zu finanzieren. Dafür braucht sie eine Zweidrittel-Mehrheit. Sie wollen das noch durch den alten Bundestag tricksen, wo die Grünen ihnen die Mehrheit verschaffen könnten. Im neuen Bundestag würden sie hingegen die Stimmen der Linke-Abgeordneten benötigen, weil die AfD nicht zustimmen würde. In diesem Fall dürfte Die Linke nicht mitmachen. Allgemein wäre es zwar sinnvoll, diesen neoliberalen Kürzungszwang aus dem Grundgesetz zu streichen. Doch unter den konkreten Umständen würde die Schuldenbremse nur gelockert, um eine gigantische Aufrüstung zu finanzieren. Ohne gleichzeitige Investitions-Beschlüsse für günstige Wohnungen, in die Bildung und in den klimagerechten Umbau des Verkehrs und den Verzicht auf die Aufrüstung darf es keine Zustimmung der Linken geben.

Hinweis: 

Den Artikel von Claus Ludwig haben wir mit der freundlichen Genehmigung des Autors aus der Zeitung „Sozialismus-info“ entnommen. Wir glauben, dass sich linke und ökologische Kräfte angesichts des gewaltigen Aufrüstungsprogramms der Bundesregierung verstärkt mit der Kriegsgefahr auseinandersetzen müssen. Der Artikel von Claus Ludwig enthält einige sehr weitsichtige Positionen, die sich wohltuend vom medial propagierten Militarismus abheben.