Wer wir sind - was wir wollen

Das Netzwerk Ökosozialismus will durch gemeinsame Diskussion und konkrete Initiativen ökosozialistische Perspektiven gesellschaftlich verankern und zur Formierung einer ökosozialistischen Strömung beitragen. Wichtigster gemeinsamer Nenner ist die Erkenntnis, dass die ökologische Krise und die soziale Krise zusammengehören. Den ’system change‘, den Teile der jungen Ökologiebewegung ins Spiel gebracht haben, gilt es mit Inhalt und Leben zu füllen, um sozialökologische Alternativen so konkret wie möglich darzustellen. Wir haben uns zum Ziel gesetzt auf regionaler und überregionaler Ebene eine Kooperation in folgendem Sinne voranzubringen:

1. Global betrachtet ist die Erhaltung unserer natürlichen Lebensgrundlagen zur dringendsten sozialen Frage überhaupt geworden und bestimmt als Vorzeichen alle anderen Felder. Die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Nachhaltigkeit bedingen einander. Was die internationale Ebene betrifft, ist das Verhältnis zwischen den dominanten kapitalistischen Industriestaaten des Nordens und vielen Ländern des Südens von tiefen strukturellen Ungerechtigkeiten geprägt. Die Länder des globalen Nordens sind für den größten Teil des Treibhausgasausstoßes verantwortlich und damit Hauptverursacher sowie historisch Profiteur der Klimakrise.

2. Stetiges Wirtschaftswachstum, eine Strukturvoraussetzung unserer kapitalistischen Gesellschaft, ist mit der Endlichkeit unseres Planeten nicht vereinbar. Es führt zur Übernutzung und Verschwendung von Ressourcen mit katastrophalen Konsequenzen. Beispielhaft für die Folgen stehen die drohende Klimakatastrophe, das Artensterben, die Erosion der Böden, die Versauerung der Meere oder der zunehmende Eintrag naturfremder chemischer Substanzen in unsere Umwelt. Der entscheidende Wachstumstreiber ist das kapitalistische Konkurrenzverhältnis und der Zwang zur Kapitalakkumulation auf immer höherer Stufenleiter. Die Erhaltung unserer Lebensgrundlagen erfordert deshalb letztlich die Überwindung des kapitalistischen Produktionsverhältnisses. Eine Postwachstumsgesellschaft ist nur jenseits der kapitalistischen Produktionsweise denkbar.

3. Wir streben eine Gesellschaft an, in der die Produktionsmittel vergesellschaftet sind. Was, wie und wie viel produziert wird, sollte nicht mehr privaten Profitinteressen überlassen-, sondern politisch ausgehandelt und gestaltet werden. Kapitalistische Einzelinteressen werden in bewusste, gesamtgesellschaftliche Planung überführt. In einem ersten Schritt sind die Bereiche mit den katastrophalsten Umweltbilanzen, sowie die Daseinsvorsorge der kapitalistischen Profitlogik zu entziehen und bewusst gesellschaftlich zu gestalten. Wir haben aus der Geschichte gelernt, dass echte, partizipatorische Demokratie auf dem Boden der kapitalistischen Ökonomie nicht gedeihen kann, dass aber umgekehrt eine sozialistische Ökonomie politischen Pluralismus, freie Diskussion und ein Höchstmaß an politischer Teilhabe zur Voraussetzung hat und echte Nachhaltigkeit verwirklichen muss.

4. Im Gegensatz zu den Vertreter*innen eines „grünen Kapitalismus“ (z.B. „Green New Deal“) nähren wir nicht die Illusion bloß technischer Lösungen. Wir legen den Akzent auf Suffizienz, das heißt darauf, welche Verbräuche an Energie und Rohstoffen absolut reduziert werden können und müssen, welche Güter völlig oder zu einem großen Teil verzichtbar sind, welche Großinfrastrukturprojekte nicht mit Nachhaltigkeit vereinbar und welche Produktionszweige destruktiv sind. Ein Rückbau überflüssiger Strukturen und Produkte wird im Vordergrund unseres gemeinsamen Agierens stehen. Dazu gehört die Autoindustrie, die auf Fahrzeuge des ÖPNV umgestellt werden sollte. Auch die Chemieindustrie muss deutlich reduziert werden (Reduktion der Kunststoff-, Düngemittel- und Pflanzengiftproduktion). Die Konsumgüterindustrie sollte auf langlebige, recyclingfähige und reparaturfähige Produkte umgestellt werden. Andere Sektoren wie das Militär, die Banken, die Werbeindustrie oder auch die Luftfahrtindustrie sind radikal zurückzubauen oder ganz zu streichen. Letztlich steht nicht nur der Kapitalismus, sondern auch die Industriegesellschaft in der heutigen Form zur Disposition.

5. Im Gegensatz zu den gängigen Wohlstandsvorstellungen, die letztlich irrational und parasitär sind, streben wir ein „gutes Leben“ jenseits bloß materiellen Wohlstands an. Ein wesentlicher Wohlstandsgewinn in einer ökologisch nachhaltigen und solidarischen Gesellschaft wird der Zeitwohlstand sein. Trotz des Bedarfs an mehr menschlicher Arbeitskraft in vielen Bereichen aufgrund der Umstellung der Produktionsweise (ökologische Landwirtschaft, Reparatur, Recycling usw.) und der nötigen Verbesserungen etwa in Pflege, Bildung und Erziehung, wird insgesamt wesentlich weniger Arbeitszeit für die Produktion erforderlich sein. Eine Umverteilung der Arbeit wird dafür sorgen, dass wir insgesamt mehr Zeit für Muße und Selbstentfaltung jenseits der Erwerbsarbeit haben werden.

6. In unserem Ringen um einen tiefgreifenden ökologischen und sozialen Umbau müssen wir berücksichtigen, dass wir es mit einer kapitalistischen Klassengesellschaft zu tun haben. In den letzten Jahrzehnten haben sich immer weniger Kapitaleigner*innen einen Großteil des gesellschaftlichen Reichtums angeeignet. Die kapitalistische Ökonomie und die gesamte bürgerliche Gesellschaft entwickeln sich auf dieser Grundlage zunehmend krisenhaft. Selbst in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern wurden große Teile der Lohnabhängigen in prekäre Verhältnisse abgedrängt. In diesem krisenhaften Szenario tauchen vermehrt obskure menschenfeindliche Ideologien auf, wie Faschismus, Antifeminismus oder Rassismus. Ein ökologischer Umbau kann in dieser Lage nur gelingen, wenn wir ihn eng mit den objektiven sozialen Interessen der Lohnabhängigen verzahnen (z.B. Verteidigung der vorhandenen Arbeitsplätze bei gleichzeitigen Produktionsumstellungen).

In diesem Sinne versteht sich das Netzwerk Ökosozialismus als Teil aller progressiven sozialen und ökologischen Bewegungen. Diese versuchen wir nach Kräften zu stärken und im Sinne unserer inhaltlichen Überzeugungen mitzuprägen. Entscheidend für die nächste Zeit wird es, dass Sozialproteste mit der neuen und jungen Ökologiebewegung zusammenfinden. Dabei müsste es gelingen, die Eigentumsfrage ins Zentrum zu rücken und unermüdlich die Notwendigkeit des gesellschaftlichen Bruchs zu betonen, als einzige adäquate und realistische Antwort auf die abrupten Brüche im Klima- und Erdsystem.