„Spurwechsel“:  Ein aktuelles Buch zur Konversion der Autoindustrie und eine Konferenz in Stuttgart

Paul Michel

Die deutsche Autoindustrie hat sich nach langem hin und her für einen schrittweisen Abschied von Benzinern und Dieseln entschieden. Sie setzt jetzt voll auf einen 1:1 Ersatz von Diesel- und Verbrennerautos durch Elektroautos. Aus ökologischer Sicht sind Elektroautos zwar besser als Verbrenner. Aber die Rohstoff- und Klimabilanz bei der Herstellung von E-Autos ist weiterhin katastrophal. 

Die Bewegung für eine Mobilitätswende vertritt zu Recht, dass die Zahl der Autos drastisch heruntergefahren werden muss. Wir brauchen eine grundsätzliche Mobilitätswende weg von Individualverkehr zum öffentlichen Verkehr mit Bahnen, Straßenbahnen und Bussen. Die Vorstellung einer grundsätzlichen Mobilitätswende und des notwendigen Umschwenkens der Produktion weg vom Pkw hin zu Bussen, Straßenbahnen und Bahnen wirkt auf viele Beschäftigte wie ein Konzept aus dem Wolkenkuckucksheim. Ein Problem bei der Entwicklung konkreter, glaubwürdiger Umbaukonzepte für die Autoindustrie ist, dass es in den Betrieben kaum noch linke Aktivist*innen gibt und dass die bisher vorgelegten Konzepte tatsächlich oft sehr abstrakt waren und im Allgemeinen blieben.
Pexel-Bild, cc0

Ein relativ kleiner überschaubarer Kreis von Menschen, der Gesprächskreis „Zukunft Auto Umwelt Mobilität“ ((ZAUM) bei der Rosa Luxemburg Stiftung versucht seit Jahren, das zu ändern. In diesem Frühjahr erschien, herausgegeben von Mario Candeias und Stephan Krull, im VSA Verlag das Buch „Spurwechsel – Studien zu Mobilitätsindustrien, Beschäftigungspotentialen und alternativer Produktion“. Es ist hinsichtlich der Bemühungen, die eigenen Konzepte zu konkretisieren, ein großer Schritt vorwärts.

Die „Spurwechsel“ Konferenz am 2. Juli in Stuttgart, bei deren Organisation Bernd Riexinger eine maßgebende Rolle spielte, war ein Versuch, diese Inhalte bei Gewerkschafter*innen aus der Branche stärker ins Gespräch zu bringen. Die Konferenz brachte Autoren der “Spurwechsel“ Studie wie Marion Candeias, Antje Blöcker und Bernhard Knierim mit Leuten aus dem betrieblichen Bereich wie Ljiljana Culjak (BR Mahle-Behr), Roland Schäfer (BR, Daimler Untertürkheim) und Rolf Klotz (ehem. BR-Vorsitzender Audi Neckarsulm) zusammen. Prof. Klaus Dörre (Uni Jena), der inhaltlich den Kreis der Spurwechsel Autorinnen nahesteht, aber im gewerkschaftlichen Spektrum ein gutes Standing hat, lieferte das inhaltliche Scharnier.

Mehr Arbeitsplätze durch Mobilitätswende

Mario Candeias umriss in seinem Beitrag, was die zentralen Positionen einer linken Intervention sein sollten. Für eine echte Mobilitätswende braucht es eine andere industrielle Produktion und vor allem unglaublich viele Arbeitskräfte. Wir brauchen viel mehr Busse, Straßenbahnen, Züge in Regional und Fernverkehr, neue Leitsysteme, E-Bussysteme mit Oberleitungen, Nutzfahrzeuge von der Feuerwehr bis zur Polizei. Das muss alles hergestellt werden. Es geht im Übrigen nicht nur um wachsende Neubedarfe, sondern auch eine Erneuerung des Bestandes. Schließlich müssen z.B. alle Fahrzeuge auf klimafreundliche Antriebe umgestellt werden. Dazu gehört die Umstellung auf Digitalisierung von Netz und Betrieb. Hier besteht ein hoher Investitionsbedarf (mindestens 30 Mrd. Euro).Hinzu kommt die Reaktivierung und der Neuausbau von Strecken. Seltsamerweise ist das in der „offiziellen“ gewerkschaftlichen Diskussion überhaupt kein Thema. Da bei hat die zu schaffende Mobilitätsbranche das Zeug, ein Leitsektor für Innovation zu werden.

Für das Szenario, dass die Fahrgäste bei ÖPNV und Bahn um den Faktor 2,5 anwachsen, Veranschlagt Candeias einen Mehrbedarf von 235 000 zusätzliche Arbeitsplätzen in den Bereich Busse und Straßenbahnen. Diese Arbeitskräfte könnten direkt aus den Sparten mit zurückgehendem Bedarf (z.B. der Produktion von PKWs) übernommen werden. Was Busse anbelangt ist der Bestand bei Kleinbussen sehr gering und zudem völlig veraltet. Im Übrigen ist in Bahnindustrie und Busindustrie die Wertschöpfungstiefe erheblich größer als in der Automobilproduktion. Die Produktion von Bussen und Bahnen hat oft einen „manufakturähnlichen Charakter“. Es handelt sich um hochqualifizierte Arbeitsplätze.

Beim fahrenden Personal und beim Service im ÖPNV besteht ein zusätzlicher Personalbedarf von zwischen 15 000 und 50 000 Arbeitsplätzen. Obendrauf kommt noch ein Aufbau in der Fahrradindustrie.

Wenn man alles zusammenrechnet kommt man auf ein Potential von zusätzlich 314 000 Arbeitsplätzen. Wenn wir davon ausgehen, dass die Arbeitszeit auf 30 Wochenstunden reduziert werden sollte, wären wir bei 415 00 zusätzlichen Arbeitsplätzen. Wir reden hier nicht von ein paar zusätzlichen Stellen, sondern Ausbau industrieller Beschäftigung im Kernbereich der IG Metall.

Und was sagen die Betriebsrät*innen?

Spannend war, wie die Reaktion der anwesenden Betriebsrät*innen ausfallen würde. In den Eingangsstatements von Ljiljana Culjak (BR Mahle-Behr), Roland Schäfer (BR, Daimler Untertürkheim) und Rolf Klotz (ehem. BR-Vorsitzender Audi Neckarsulm) waren Produkte aus dem Bereich Bahnen oder Straßenbahnen als potentielle Geschäftsfelder kein Thema. Rolf Klotz sagte, dass neue Mobilitätskonzepte bei Audi in Heilbronn in den letzten Jahre nie ein Thema waren. Das, was auf dieser Konferenz in Sachen Beschäftigungsmöglichkeiten diskutiert wird, so Klotz, kennen die Kollegen schlicht nicht. Dier Diskussion über Beschäftigung in den Betriebsräten folgt in aller Regel den Geschäftsmodellen des Unternehmens. Zudem hält das Management durch ständig neue Umstrukturierungsvorhaben die Betriebsräte ständig auf Trapp. Dadurch würden Betriebsräte so unter Druck gesetzt, dass sie gar nicht auf andere Gedanken kommen können. Ihm sei durch das was, er auf der Tagung mit bekommen hat, die Notwendigkeit, den eigenen Blick zu erweitern, bewusst geworden. Ähnliche Aussagen machte auch Ljiljana Culjak (BR Mahle-Behr). Es war zumindest in diesem Panel nichts von der rigiden grundsätzlichen ablehnenden Haltung zu bemerken, Anders als IG BCE in der Frage des Kohleausstiegs scheinen weder die IG Metall Spitze als auch die betrieblichen Aktiven nicht grundsätzlich auf Ablehnung gegenüber den Anliegen der Klimabewegung gepolt.

Dicke Bretter bohren!

Nach wie vor ist es aber wohl so, dass es in der IGM so gut wie keine Diskussion gibt, wie die Strategien für die Transformation auf die betriebliche Ebene runtergebrochen werden können. Es ist davon auszugehen, dass es von Seiten der IG Metall Führungsetage wohl auch kein Interesse an einer stärkeren Aktivierung der Basis gibt. Das müsste durch Initiativen von der Basis her auf den Weg gebracht werden. Keinen Austausch gibt es wohl zwischen den verschiedenen Sektoren Busproduktion, Zugproduktion und PKW, obwohl alle zum Organisationsbereich der IG Metall zählen. Entsprechende Arbeitskreise der IG Metall könnten das ändern.

Für die Menschen, die für eine Konversion der Autoindustrie eintreten, sind noch dicke Bretter zu bohren. Veranstaltungen wie die in Stuttgart sind ein Versuch, Kontakte zu betrieblich Aktiven aufzubauen und dabei die eigenen Vorstellungen zu konkretisieren und zu schärfen.
Die Rosa-Luxemburg Stiftung plant ähnliche Veranstaltungen an andere Standorten der Autoindustrie durchzuführen. Die nächste dieser Art wird am 15. September in Wolfsburg stattfinden.