Der Haushalt 2024 trägt die Handschrift von Christian Lindner. Im nächsten Jahr gibt es keine Steuererhöhungen für die Superreichen und die unreformierte Schuldenbremse soll jetzt ohne Umgehungen wieder greifen. Der Haushalt 2024 markiert eine Zäsur in der Politik der Ampelkoalition. Die bisher noch vorhandenen Reformansätze (Wärmepumpe, Kindergrundsicherung), so unzureichend und holprig sie auch waren, dürften sich nun erschöpft haben. Jetzt geht es den Koalitionären vor allem darum, Haushaltslöcher zu stopfen und Sparmaßnahmen einzuleiten. Insbesondere durch den Abbau von Sozialmaßnahmen soll wieder Geld in die Staatskasse gespült werden.
Dabei hatte sich die SPD-Führung auf ihrem Parteitag noch vor den Kameras aufgebaut und verkündet, dass es keine Einschnitte im sozialen Bereich gibt. Wenige Tage später stellte sich dann heraus: Es gibt diese Einschnitte sehr wohl. So soll etwa der Bonus beim Bürgergeld für Weiterbildungen gekürzt werden. Der Druck auf Empfänger*innen von Bürgergeld soll verstärkt werden, jedweden Job, der ihnen angeboten wird, anzunehmen. Der Arbeitsminister will Bürgergeld-Beziehenden für zwei Monate die Leistungen vollständig streichen, „wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte sich willentlich weigern, eine zumutbare Arbeit aufzunehmen“. Dies widerspricht zwar einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, laut dem nach Pflichtverletzungen allenfalls eine 30-prozentige Kürzung der existenzsichernden Leistung möglich ist.
In den bürgerlichen Medien präsentieren selbsternannte Experten aber juristische Spitzfindigkeiten, die rechtfertigen sollen, warum eine Totalstreichung nicht gegen die frühere Entscheidung des Verfassungsgerichts verstoßen würde. So beantwortet die taz die Frage, ob Heils Plan verfassungswidrig sei, folgendermaßen: „Nein, denn bei einer Art der Pflichtverletzung ist laut Bundesverfassungsgericht eine Totalstreichung des Regelsatzes als Sanktion möglich: Wenn die ‚Aufnahme einer angebotenen zumutbaren Arbeit‘ abgelehnt wird. Denn damit habe es der Leistungsberechtigte in der Hand, seine menschenwürdige Existenz selbst zu sichern.“
Die Initiative Heils bekommt Beifall von der FDP sowie von der oppositionellen CDU/CSU und der AfD. „Es ist der Solidargemeinschaft der Steuerzahler nicht zuzumuten, dass sich andere auf ihre Kosten ausruhen“, so Carl-Julius Kronenberg von der FDP. Von „vier Millionen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die lieber zu Hause sitzen und Bürgergeld kassieren“, schwadroniert René Springer von der völkischen AfD. Davon kaum unterscheidbar auch Stephan Stracke, der sozialpolitische Sprecher der CSU: „Wer sich aus Bequemlichkeit jedem Job-Angebot verweigert, darf nicht darauf zählen, dass ihn die Solidargemeinschaft dabei auch noch finanziell unterstützt.“ Inzwischen hat auch die Chefin der „Bundesanstalt für Arbeit“ (BA) öffentlich die Pläne von Heil unterstützt.
Heils Ministerium spricht im Gesetzesentwurf von „einigen wenigen“ Betroffenen. Laut Statistiken der BA wurden von den 3,9 Millionen erwerbsfähigen Bürgergeld-Empfänger*innen lediglich 23.400 Personen mit Sanktionen wegen mangelhafter Mitwirkung belegt – also gerade einmal 0,6 Prozent. Sozialverbände berichten aber immer wieder, dass es dabei überwiegend um Leute geht, die mit großen Problemen konfrontiert sind, etwa psychischen Störungen, Suchtkrankheiten oder anderweitigen Schicksalsschlägen. Auch in früheren Jahren ging nur ein kleiner Teil der Sanktionen auf abgelehnte Arbeit zurück. Die BA geht jetzt davon aus, durch die geplanten knallharten Maßnahmen 170 Millionen Euro einzusparen wären. Den Berechnungen des Vereins „Tacheles“ zufolge müssten die neuen Sanktionen aber pro Jahr über 210.000 Mal eingesetzt werden, damit Bund und Kommunen wirklich diesen Euro-Betrag einsparen würden. Wenn der Arbeitsminister seinen Einsparungszielwert von 170 Millionen erreichen will, muss er also den Zielkorridor der Opfer erheblich ausweiten. Das nährt den Verdacht, dass das, was jetzt herausgelassen wird, nur ein Testballon ist und Heil eine Verallgemeinerung der Sanktionen im Stil von Hartz IV im Schilde führt.
Mit der Einführung des Bürgergeldes war der Anspruch verbunden, Hartz IV zu überwinden und einen Neubeginn zu wagen. Von Anfang an bestanden Zweifel daran, dass sich in der Praxis mehr als nur der Name ändert. Heute wissen wir: Die Befürchtungen waren berechtigt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das Regelwerk der Gängelungen und Sanktionierungen gegen alle Bezieher*innen von Bürgergeld zur Anwendung kommt. Das entsprechende publizistische Dauerfeuer aus der Politik (besonders aus den Kreisen der Union und der FDP), der Wirtschaft und den meinungsführenden Medien läuft dafür bereits hoch in Richtung Betriebstemperatur.
Wer unsere Regierenden kennt, weiß, dass dieser Rückgriff auf die von Hartz IV bekannten sozialen Grausamkeiten kein Zufall ist. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass dies zeitlich begrenzt ist, noch dass die Drangsalierungen sich auf die Geflüchteten aus der Ukraine beschränken. Es ist davon auszugehen, dass alsbald noch mehr Mittelchen aus dem Hartz-IV-Arsenal wieder ausgepackt und erneut zum Standard werden im Umgang mit den „Kunden“ der Agentur für Arbeit.
Hinsichtlich der Zielgruppe, gegen die sich diese Härte richtet, waren Regierung und Medien anfangs relativ zurückhaltend. Inzwischen gibt es aber einige Äußerungen, die tief blicken lassen. Finanzminister Lindner äußerte im ZDF: „Wir müssen unseren Sozialstaat treffsicher machen, und deshalb unternehmen wir jetzt Anstrengungen, um die Geflüchteten aus der Ukraine in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Bei den Verweigerern von Arbeitsangeboten im Bürgergeld muss es Sanktionen geben.“ Auf der Tagung der CSU in Bad Seeon sprach CSU-Landesgruppen Chef Dobrindt, der wenig Grund zu diplomatischer Zurückhaltung hat, offen aus, was Heil vorher auch schon zurückhaltender formuliert hatte: „Ukrainer sollen arbeiten oder in den Westen des Landes zurückkehren.“ Offenbar neigen sich die Zeiten deutscher staatlicher Großzügigkeit gegenüber ukrainischen Flüchtlingen ihrem Ende zu.
Autor: Paul Michel
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