Saito, Kohei. Systemsturz. Der Sieg der Natur über den Kapitalismus

Rezension von Hans-Jürgen Kleine

Dem 36-jährigen Professor für Philosophie und Mitherausgeber der neuen Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA), Kohei Saito, wurde nicht nur 2018 durch die Auszeichnung mit dem Isaac-Deutscher-Preis und in Japan 2020 mit der Verleihung des hoch angesehenen Preises der ‚Japan Society for the Promotion of Science‘ (JSPS) für junge Wissenschaftler des Landes viel Zuspruch zuteil. Auch in Deutschland, wo Saito in Berlin promovierte, scheint seine konkrete Utopie des ‚Degrowth-Kommunismus‘ in der politischen Linken vermehrt auf Interesse zu stoßen. Dazu trägt auch bei, dass sein Buch nicht wie bei antikapitalistischen Texten oft üblich, in einem der bekannten linken Verlage (Papyrossa, Oekom usw.) erscheint, sondern bei der DTV-Gesellschaft, und damit seine Reichweite hinein in das Spektrum des aufgeklärten Bildungsbürgertums ausdehnen kann. Das im Umschlagcover genannte, noch recht junge Alter des Autors dürfte ein Übriges tun, um vermehrt auch jene junge Leserschaft in den neuen sozialen Bewegungen (Klimagerechtigkeitsbewegung, Fridays For Future usw.) anzusprechen, für die ein Leben in der wachstumsfixierten kapitalistischen Ökonomie der bestehenden Gesellschaft keine Zukunft bietet. Die Frage ist allerdings: Werden die Leser*innen des hier untersuchten Werks fündig auf ihrer Suche nach überzeugenden Lösungen, wie wir die Klimakrise in den Griff bekommen und uns aus den Zwängen des zerstörerischen Kapitalismus befreien können? Die Antwort lautet: Ja, aber mit Einschränkungen.

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Einige Schwächen des Buches

Wenden wir uns zunächst den Schwächen des Buches zu, bevor wir seine starken Seiten bewerten. Dazu gehört zuerst der krasse Spannungsabfall nach etwa zwei Dritteln des Textes, der die anfängliche Motivation dämpft, das Buch vollständig durchzulesen und von Redundanz zuvor eingängig entwickelter Passagen gekennzeichnet ist („In den letzten Kapiteln haben wir gelernt, … ; Wie wir bereits in Kapitel 3 gesehen haben, … ; Bisher habe ich in diesem Buch ja … ; usw.“). Leichtes Kopfschütteln muss gegen Ende hin auch der Zweckoptimismus Saitos hervorrufen, wenn er z.B. die „Saat des Degrowth-Kommunismus“ schon heute weltweit aufgehen sieht und dafür vor allem die neuen sozialen Bewegungen des ‚Munizipalismus‘ bzw. der ‚Fearless Cities‘ als Belege anführt. Neben Grenoble, Amsterdam und Paris hebt er besonders die Städte Detroit und Barcelona hervor, aber auch das kleine Land Bhutan, das bekanntlich mit der Kategorie des Bruttonationalglücks (BNG) als Maßeinheit für das wirtschaftliche und soziale Wohlergehen seiner Bürger*innen das wachstumsfixierte Bruttoinlandsprodukt (BIP) ersetzt hat. Zwar stimmt es, dass die Menschen in der vom Niedergang der Automobilindustrie gebeutelten und ohne Alternative sich selbst überlassenen Menschen in Detroit in gemeinsamer Anstrengung eine funktionierende urbane Landwirtschaft und lokale ökologische Märkte aufgebaut haben. Ebenso positiv muss der in Barcelona nach Ausrufung des Klimanotstands beschlossene Aktionsplan zur Emissionsreduktion bewertet werden, wie überhaupt die erklärte Kampfbereitschaft dieser ‚Fearless City‘, sich vom derzeitigen, auf kontinuierlichem Wachstum, dem Wettlauf um Profite und zunehmendem Verbrauch der natürlichen Ressourcen basierenden Wirtschaftsmodell zu verabschieden. Aber als Marxist muss Saito eigentlich wissen, dass im bürgerlichen (Klassen-)Staat die Kommunen als unterste Ebene des föderalen Systems wichtigste exekutive Vollstreckerfunktionen für die auf höchster Ebene (von der ‚Volksvertretung‘) beschlossenen Gesetze erfüllen und sie deshalb auf gesamtgesellschaftlicher, breiter Ebene nicht als evolutionärer Hebel zur sozial-ökologischen Transformation nutzbar sind. Ein Blick nach Berlin oder Köln – laut Kohei Saito sind die Kommunen weltweit für insgesamt 70 % der CO2-Emissionen verantwortlich – genügt, zu erkennen, dass eine verallgemeinerte Revolte progressiver „antikapitalistischer“ Städte als Elemente des kapitalistischen Staates höchst unwahrscheinlich ist: So scheiterte etwa in der Bundeshauptstadt „dank“ der Rot-Rot-Grünen Koalition das mutige Experiment der Zivilgesellschaft, zur Verbesserung der dramatischen Wohnungssituation die Wohnungskonzerne Vonovia und Deutsche Wohnen zu enteignen; und in Köln, wo der Rat der Stadt vor Jahren ebenfalls den Klimanotstand ausgerufen hatte, wird von der Stadtspitze unter Umgehung aller vernünftigen Argumente ein Milliarden Euro teurer Bau eines neuen U-Bahn-Tunnels angestrebt. Das heißt, transformatorische Projekte des Klimaschutzes und des „guten Lebens“ auf der untersten Ebene des Staates zu initiieren, aufzubauen und zu verteidigen, sind zwar sinnvoll und notwendig, ihre Hebelwirkung gegen das „große Ganze“ des von Konzernen und den „Kapitalisten des 21. Jahrhunderts“ (Werner Rügemer) aber doch begrenzt. Kritisch gesehen werden muss ferner die Sicht des Autors auf die von Macron 2019 in Frankreich institutionalisierte sog. ‚Bürgerversammlung für das Klima‘, die die von vielen Menschen zu Recht als Alibimanöver kritisierte ‚Große Nationale Debatte‘ in ca. 10.000 Gemeinden ablöste. Das hier praktizierte Losverfahren und die Auswahlmethode zur Zusammensetzung der 150 Bürger*Innen, die Maßnahmen für die 40-prozentige Reduzierung der Treibhausgasemissionen (THG) bis 2030 ausarbeiten sollten, war zwar gut strukturiert und wurde sogar mit weitreichenden Resultaten belohnt (Verbot des Flughafenbaus ab 2025, keine Inlandsflüge und Autobewerbung mehr, Einführung einer Vermögensssteuer u.v.m.). Damit hatte es sich aber auch, denn die Umsetzung der Vorschläge der ‚Bürgerversammlung‘ oblag von da ab dem Gutdünken der Nationalversammlung – und damit der pro-marktwirtschaftlich ausgerichteten Mitte-Rechts-Mehrheit des Parteienspektrums. Macron peitschte anschließend das von den Kapitalisten geforderte Projekt einer neoliberalen Rentenreform durch, die Besserverdienende begünstigt. Saito lässt diese Kritik an der Unvollständigkeit der Demokratie, wie sie im französischen (übrigens auch im deutschen) Modell der ‚Bürgerbeteiligung‘ konkret zum Tragen kommt, komplett außen vor. Damit fällt er hinter den Begründer der ‚Gemeinwohlökonomie‘, Christian Felber, zurück, der mit seinem Ruf nach bundesweiter Etablierung eines radikaldemokratisch verfassten Wirtschafts-, Bildungs-, Demokratie-, Daseinsvorsorge- und Medienkonvents auf ein System der umfassenden, direkten Massendemokratie zielt. Zum Schluss ist auch die Handlungsperspektive des japanischen Marxologen fragwürdig, indem er die Studie der Harvard-Politologin Erica Chenoweth unhinterfragt übernimmt, nach der es zu großen gesellschaftlichen Umwälzungen kommt, wenn 3,5 % der Menschen (einer bestimmten Gesellschaft) gewaltlos und entschlossen aufbegehren (in Deutschland wären dies rd. 3 Millionen Personen). Selbst wenn diese Zahl stimmt, ist Saitos These nicht haltbar, dass es zweitrangig sei, auf welchem Feld sich die Menschen politisch engagieren, in Form eines Schulstreiks, einer Arbeiterkooperative, in der ökologischen Landwirtschaft oder im Gemeinderat („Hauptsache, es wird gemacht“). Hier verkennt der linke Philosoph gänzlich die Erfahrung aus den erfolgreich geendeten Klassenkämpfen der Geschichte, dass es in der Phase der Doppelherrschaft zwischen Kapital und Arbeit (‚Bourgeoisie‘ u. ‚Proletariat‘/ kleine Bauernschaft) einer Konzentration der politischen Avantgarde zur „kritischen Masse“ bedarf, die im entscheidenden Moment die Machtfrage nicht nur aufwirft, sondern zu ihren Gunsten löst und alle Kräfte auf diesen Punkt hin mobilisiert. So war es in Russland 1917, in der DDR im November 1989 und auf Kuba 1959-1960. Anders geht der Kampf verloren.

Stärken der Schrift

Zu den Stärken der Schrift gehört zunächst die Fülle an Informationen über die neueren Ergebnisse der Degrowth-Diskussion und über den klimapolitischen Forschungsstand. Saito deckt über drei Viertel seines Buches mit den Antworten vieler prominenter (marxistischer, keynesianistischer und linksliberaler) Persönlichkeiten auf die immensen Herausforderungen der Klimakrise ab, auf die Art, wie wir unser Leben gestalten und das schwierige Problem der Konversion der kapitalistischen Produktionsweise in den Griff bekommen. Er scheut sich nicht, Nobelpreisträger wie William D. Nordhaus wegen seiner auf Wachstum basierenden Fixierung auf die CO2-Emissionssteuer, einen Joseph Stiglitz wegen seines Konzepts des „progressiven Kapitalismus“ oder Akira Yoshimo, den Wegbereiter der Lithium-Ionen-Batterie (und damit der weltweiten, immense Ressoucen fressenden Massenproduktion von E-Autos, Computern und Smartphones) vom Standpunkt der fundamentalen Degrowth-Position aus überzeugend zu kritisieren. Dem vordergründig originell anmutenden Modell der „Donut-Ökonomie“, das auf der Frage basiert, welches Maß an wirtschaftlicher Entwicklung in einem Ökosystem mit begrenzten Ressourcen der Menschheit Wohlstand ermöglichen kann und von der früheren Oxfam-Wirtschaftswissenschaftlerin Kate Raworth entwickelt wurde, erteilt er ausführlich eine Absage. Es unterstütze zwar die Forderung nach einem Postwachstum, drücke sich aber vor dem Problem des Kapitalismus mit seiner langfristig nicht aufhebbaren, ungerechten Ressourcenverteilung. Sein Fett weg bekommt auch Noam Chomsky, eine der ideologischen Stützen des Green New Deals in den USA, dessen Kritik sich auf Reformen im Rahmen des kapitalistischen Systems beschränke und deshalb als „Klima-Keynesianismus“ eingeordnet wird. Nicht zu vergessen der hohe UN-Klimarat (IPCC), immerhin eine weltweite wissenschaftliche Autorität mit Wirkung bis weit ins bürgerliche Milieu hinein, dem der Degrowth-Kommunist vorwirft, mit seinem „Sonderbericht 1,5° globale Erwärmung“ (2018) auf grünes Wirtschaftswachstum zu setzen und zur Bekämpfung des Klimawandels im 5. Weltklimabericht hochrisikoreiche Negativemissionstechnologien (NETs) wie die Bioenergie mit CO2-Abscheidung und -Speicherung (engl.: BECCS-Verfahren) oder die CCS-Technik (Carbon Dioxide Capture and Storage) als Lösung für die Reduktion des globalen CO2-Ausstoßes zu favorisieren. Die für das BECCS benötigte Anbaufläche sei doppelt so groß wie Indien, alternativ müsste zur Durchführung des Verfahrens der Amazonas-Regenwald komplett weichen, der erwünschte Reduktionseffekt der Emissionen ginge somit verloren. CCS-Technik wiederum erfordere gigantische Mengen Wasser, das schon jetzt in der Landwirtschaft knapp ist und die Ozeane infolge der Einleitung großer Mengen Kohlendioxyd in den Meeresboden noch mehr versauere. In der Erde verpresstes CO2 könne später austreten und als farbloses Gas verheerende Wirkung auf das organische Leben entfalten. Alle Kritik des Autors ist mit Quellen belegt.

Karl Marx als Degrowth-Kommunisten

Während wir in etwa der Hälfte des Werks viel Erhellendes über den systemkritischen Forschungsstand zum Klimawandel und Technologiekritisches erfahren, so z.B. über das sog. Gesetz des Ersatzes (J. von Liebig: nachhaltige Landwirtschaft erfordert Zirkulation der Bodennährstoffe); über das sog. Jevons-Paradoxon (W.S. Jevons: Effizienzsteigerung kann ökologisch schädlich sein); das Lauderdale-Paradox (J. Maitland, Earl of Lauderdale: Nimmt individueller Reichtum zu, nimmt öffentlicher Wohlstand ab) oder den Unterschied zwischen sog. Verriegelten und Offenen Technologien (A . Gorz: Verriegelte Technik ist intransparent und von der Allgemeinheit isoliert, wie z.B. AKWs; offene Technik ermöglicht Kontrolle und Transparenz), präsentiert Kohei Saito im zweiten Teil seinen Clou: Die Herausstellung des „späten“ Karl Marx, gewissermaßen als Prototyp des Degrowth-Kommunisten, der über den „Ökosozialismus“ hinausging, den er bei Erscheinen des ersten Bandes des ‚Kapitals‘ (1867) noch vertreten hatte. Letzterer bestand noch darin, von der Fähigkeit der enormen Entwicklung der Produktivkräfte im Kapitalismus auszugehen, die zwar die Natur extrem schädigen können, aber für den Aufbau des Sozialismus nützlich sind.
Kurz skizziert, lässt sich nach Saito die Entwicklung des Trierer Juristensohns auf drei aufeinanderfolgende ideologische Grundpositionen reduzieren: Die Kernthese im Kommunistischen Manifest (1848), mit der Marx einen Kommunismus vertritt, in dem die Produktivkräfte aufgrund der Fülle an natürlichen Ressourcen nahezu unbegrenzt steigerbar sind. Dem folgt der „Ökosozialist“ Marx nach Erscheinen des ersten Bands des ‚Kapitals‘, geleitet von der Erkenntnis, dass wir zuerst zum Sozialismus gelangen müssen, um die Voraussetzung für ein nachhaltiges und die Natur weitestgehend schonendes Wirtschaftswachstum zu erzielen; der hier beginnende Bruch mit dem Produktivismus führt dann weiter zur Aufgabe des linearen Geschichtsbilds, wonach jedes Land zuerst eine Industrialisierung nach dem westeuropäischen Kapitalismusmodell durchlaufen müsse, um die Produktivität zu erhöhen. Dieses Denken erlaube es durchaus, dem frühen Marx ideologischen Eurozentrismus vorzuwerfen, der letztlich sogar den Kolonialismus rechtfertige. Denn woher kommen die billigen Ressourcen sonst, auf denen der imperiale Luxus des industriellen Europas fußt? Den endgültigen Abschied vom Eurozentrismus des Mannes, der die Welt, ohne es selbst miterlebt zu haben, verändert hat wie kaum ein Mensch vor ihm (vergleichbar vielleicht den berühmten Religionsstiftern), sieht Saito schließlich im „Brief an Sassulitsch“ (1881), die russische Agrarsozialistin der ‚Volkstümler‘ (Narodniki). Dieses Schreiben bilde den „Kristallisationspunkt“ des neuen Marxschen Denkens, indem er nach intensivem Studium naturwissenschaftlicher Forschungen und der Geschichte der „Commons“ (Gemeingüter) in Russland (MIR-Dorfgemeinschaften) und Mitteleuropa (altgermanische Markgenossenschaften / Allmenden) die frühere Annahme verwarf, dass eine Steigerung der Produktivkräfte ( Wirtschaftswachstum i.w.S.) zwangsläufig zur Emanzipation der Menschheit führt; dass sie vielmehr den „unheilbaren Riss im Stoffwechsel mit der Natur“, wie ihn der wachstumsgetriebene Kapitalismus verursache, auch in der Zukunft fortsetze, wenn die Schätze der Erde nicht als ‚Gemeingut‘ behandelt werden.

Urteil über die traditionelle Linke

Saitos Urteil über die traditionelle Linke der Zeit vor Beginn der Klimadebatte (im ‚Anthropozän‘ von 1945 bis etwa zur Gründung des ‚Club of Rome‘ 1968 bzw. der Anti-AKW-Bewegung) fällt nicht gut aus. Er trifft ins Schwarze, wenn er Marx-Forschern vorwirft, sie hätten das Degrowth-Theorem bisher abgelehnt und dazu beigetragen, dass das Erbe des Produktivismus heute schwer auf dem Marxismus lastet. Dementsprechend hart geht er mit Ideologen des „vollautomatisierten Luxuskommunismus“ und „Akzelerationismus“ um wie Aaron Bastani, ein englischer Journalist, der eine akzeptable Lösung der Klimakrise auf das sog. Mooresche Gesetz stützt und das Bevölkerungswachstum mit modernster technologischer Entwicklung, der Herstellung von künstlichem Fleisch aus Fabriken und Gentechnik meistern will. Moore vertritt, dass die Geschwindigkeit technologischer Entwicklung mit der Zeit exponentiell zunimmt, was laut Bastani den Preismechanismus des Marktes in Richtung niedrigerer Preise für Solar- und Geothermie als kostenlos zur Verfügung stehende Energiequellen verändert. Damit sinke in Folge der Preis für alle Produkte und rufe eine Überflusswirtschaft hervor, in der die Erde durch intensiven Gebrauch von Atomkraft, NETs und Geoengeneering verwaltbar gemacht werde (Saito dazu: „Ökomodernismus“). Die Akzelerationisten setzen im Übrigen unkritisch auf die bürgerlich-parlamentarische Demokratie und damit eindimensional auf Parteien als Träger der Transformation, anstatt auf die Kraft radikaldemokratischer sozialer Bewegungen.

Ausweg aus der Menschheitskrise

Als Ausweg aus der Menschheitskrise tröstet uns der Autor am Ende mit seiner zentralen, an Marx angelehnten These, dass der anzustrebende Degrowth-Kommunismus keine Gesellschaft des Mangels heraufbeschwört, in der wir auf grundlegende Bedürfnisbefriedigung verzichten müssen. Vielmehr sieht er in der zu leistenden Rekonstruktion der oben genannten ‚Commons‘ (stets ein zentraler Begriff des Buches), in denen die Rolle des Staates in den Hintergrund rückt, eine zukünftige „Wirtschaft der Fülle“ im Gegensatz zur „Knappheit“ (an Wasser, Wohnungen, guten Böden, intakte Wälder und Ozeane, Freiheit von entfremdeter Arbeit) im Kapitalismus. Hier drängt sich der Vergleich mit der Felberschen ‚Gemeinwohlökonomie‘ auf, die als verallgemeinertes Wirtschaftsmodell ebenfalls ansteuert, Wachstum überflüssig zu machen. Eine solche Wirtschaft kennt nur Gebrauchswerte (nützliche Werte) und verabschiedet sich von der Befriedigung schrankenloser materieller Bedürfnisse in unserer imperialen Lebensweise zugunsten freiwilliger Selbstbeschränkung und einer neuen Art, wie wir ‚Arbeit‘ begreifen und gestalten. Positiv zu bewerten ist auch Saitos Auflistung der „fünf tragenden Säulen des Degrowth-Kommunismus“ (Wandel zur Gebrauchswertproduktion, Arbeitszeitverkürzung, Aufhebung uniformer Arbeitsteilung, Demokratisierung des Produktionsprozesses, Fokussierung auf systemrelevante Arbeit). Treffend fügt er den Akzelerationisten, die ihrerseits den Ruf nach „Befreiung von der Arbeit“, ähnlich wie manche Postwachstumsanhänger*innen, erschallen lassen, einen weiteren Seitenhieb zu: Eine Befreiung von der Arbeit rein durch technische Vollautomatisierung (KI-Systeme, Roboter, Selbstfahrende E-Autos usw.), also durch gleichzeitige Steigerung der Produktivkräfte, belastet immens die Umwelt und das Klima und kann keine Lösung sein. Als Mitherausgeber der neuen MEGA klopft sich der Marxologe allerdings gehörig auf die Brust, indem er sich jener (kleinen) Gruppe von Forscher*innen zuordnet, die den aufgrund der komplexen und verstreuten Quellenlage (meist handelt es sich um handschriftliche Notizen) erstmals ins Licht gerückten Sinneswandel des Karl Marx als Erste erkannt haben und ihm vertieft nachgehen wollen. Im Schlußteil stören einige abrupte Themenwechsel, die uns nichts wirklich Neues bringen. Dass wir vom globalen Süden lernen können, wie von den Zapatisten, die schon lange vor Einsetzen der europäischen sozialen Bewegung gegen TTIP, CETA & Co. gegen das Inkrafttreten des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) rebellierten, oder von der South Africa Food Sovereignity Campaign (SAFSC) der Kleinbauern und NGOs, sollte für Kapitalismuskritiker*innen selbstverständlich sein. Ebenso die Übernahme der Forderung nach ‚Klimagerechtigkeit‘ der benachteiligten und vom Klimawandel ungleich schwerer betroffenen Bevölkerungsgruppen der geografischen Peripherien, wohin der Müll aus unserer imperialen Lebensweise gewissenlos ausgelagert wird.

Ob es nun tatsächlich so kommt, wie Kohei Saito es glaubt, dass angesichts der Appelle der sog. Generation Z (zwischen der zweiten Hälfte der 1990-er und den 2000-ern geborene junge, kapitalismuskritische Menschen mit hohem Umweltbewusstsein) das Blatt sich zu wenden anfängt? Das Buch erschien im zweiten Jahr des die Welt dramatisch verändernden Ukrainekriegs. Da hätten wir erwarten können, dass der Autor die Konsequenzen des gesteigerten Militarismus und die wachsende (Welt-)Kriegsgefahr mit in den Blick nimmt. Kapitalismus ist ohne Krieg nicht denkbar, er braucht den Krieg als Akt der „schöpferischen Zerstörung“ (Schumpeter), um künstlich eine Degrowth-Lage zu schaffen, aus der anschließend neues Wachstum (der Profite) generiert werden kann. Heute allerdings mit einem bedeutsamen Unterschied zu Marx‘ Zeiten: Nach einem großen Atomkrieg funktioniert diese Neuschöpfung nur noch für ganz Wenige, wenn überhaupt.

 

Saito, Kohei. Systemsturz. Der Sieg der Natur über den Kapitalismus. München, 2023: DTV. 316 Seiten. ISBN 978-3-423-28369-4. Preis: 25,00 Euro
Rezension der deutschen Ausgabe in der Übersetzung aus dem Japanischen von Gregor Wakounig
Rezensent: Hans-Jürgen Kleine (im Februar 2024)