Wir erleben heute in der kapitalistischen Welt, wie immer mehr Waren produziert werden und wie einzelne Metalle bereits zu knappen Gütern zu werden drohen. Gleichzeitig kann man zusehen, wie immer mehr Produkte immer schneller weggeworfen werden. So fielen 2012 bereits weltweit 41,5 Millionen Tonnen Elektroschott an. Der jährlich anfallenden Elektroschrott lag dann im Jahr 2021 bereits bei 57,4 Millionen Tonnen. Umweltexperten des Brüsseler WEEE Forums zufolge übersteigt die Masse ausrangierter Kühlschränke, Monitore und Handys damit sogar das Gewicht der Chinesischen Mauer. Die Frage ist: Warum steigen die Müllmengen immer weiter an? Eine wesentliche Ursache liegt darin, dass die Lebensdauer der gefertigten Produkte immer kurzlebiger wird. Man spricht auch von Obsoleszenz. Man versteht darunter die bewusste und geplante Verringerung der Produktlebensdauer durch die kapitalistischen Produzenten.
Aber warum nimmt dieses Phänomen so rasant zu? Die Antwort hängt eng mit dem Wirtschaftssystem zusammen, in dem wir leben: Angesichts von zunehmend gesättigten Märkten ist Obsoleszenz eine Gegenstrategie des Kapitalismus, um einen kontinuierlichen Absatz zu sichern. Wenn alle Haushalte bereits einen Fernseher oder einen Kühlschrank haben, dann können die Unternehmen nur weiter Profite machen, wenn die Kunden dazu gebracht werden, ihre alten Produkte auf den Müll zu bringen und dafür neue zu kaufen. Das geht am besten, wenn die neuen Waren gleich nach denn Ende der Gewährleistung immer unzuverlässiger werden oder gleich ganz kaputt gehen. Dies wird auch als funktionale Obsoleszenz bezeichnet, da ein Funktionsverlust eintritt.
Obsoleszenz wurde das erste Mal im Jahr 1924 nachgewiesen. Damals schlossen sich die größten Glühbirnenhersteller der Welt zu einem Kartell namens „Phöbus“ zusammen. Eine der ersten Maßnahmen des Kartells war die Senkung der durchschnittlichen Lebensdauer von Glühbirnen. Im Jahr der Phöbus-Gründung lag sie noch bei 2500 Stunden. Bereits 1926 wurde sie auf 1500 Stunden abgesenkt. 1940 schlug das Kartell noch einmal zu und setzte die Birnenlebensdauer auf 1000 Stunden fest. Obwohl das Kartell danach aufflog, wurde die gesenkte Lebensdauer nicht zurückgenommen. Nur in der DDR durften Glühbirnen immer noch 2500 Stunden halten. Nach der Wende war aber auch damit Schluss.
Während man 1924 Lebensdauersitzungen noch als Einzelfall ansehen konnte breitet sich heute in einer Zeit gesättigter Märkte die Obsobszenz wie eine Seuche aus. Das Internet ist voll von Kundenklagen, die sich über vorzeitig ausgefallene Elektrogeräte beschweren. Und die Internet-Seite „Murks-Nein Danke“, die sich der Aufdeckung der Obsoleszenz verschrieben hat, zählte 1 Jahr nach ihrer Gründung bereits 2 Millionen Besucher. Doch die Sprecher der beklagten Unternehmen bestreiten rundheraus jede künstlich Lebensdauerverringerung. Wie kann man dann eine gezielte Obsoleszenz belegen? Wo taucht sie auf?
Werfen wir einen Blick auf Waschmaschinen. Während früher Miele-Waschmaschinen eine Lebensdauer von 20 Jahren zugeschrieben wurde, berichten heute Reparaturbetriebe, dass Waschmaschinen vielfach schon nach 7 Jahren einen Totalschaden haben und dass schwerwiegende Reparaturen bereits nach 3 Jahren auftreten. Ein Beispiel: Die Trommeln von Waschmaschinen laufen in Bottichen, die heute zunehmend aus Plastik hergestellt werden. Was die Sache schlimm macht: Die Bottich-Halterungen am Maschinengehäuse sind oft viel zu dünn ausgelegt, so dass sie unter der schwingenden Belastung viel zu früh abreißen. Das Ergebnis: Die Waschmaschine landet auf dem Müll.
Sprechen wir von Fernsehern. Die Hersteller bauen Fernsehgeräte mittlerweile so, dass viele gerade eben die Garantiezeit überstehen. Ein Interesse an einer längeren Lebenszeit ist nicht zu erkennen. Zum frühen Schaden tragen besonders Elektrolytkondensatoren (EIkos) bei. Unter der hohen Umgebungstemperatur fallen die ersten bereits nach 3 Jahren aus. Es gibt zwar Elkos am Markt, die doppelt so lange oder noch länger halten. Aber die kosten 20 Cent mehr. Bei rund 200 Elkos in einem Fernseher wären das Mehrkosten von 40 Euro. Und wenn das Gerät erst einmal ausgefallen ist, wird heute nicht mehr repariert. Das geht vielfach auch nicht mehr, weil bestimmte elektronische Ersatzteile nur für Großabnehmer erhältlich sind. Kleine Reparaturunternehmen haben da das Nachsehen. Also wandert der Fernseher auf den Müll.
Auch Videorecorder bleiben von kapitalistischen Obsoleszenzstrategien nicht verschont, wie der Schreiber dieser Zeilen selbst leidvoll erfahren musste. Kurz nach Ablauf der Gewährleistung von 2 Jahren fiel im Gerät der integrierte DVD-Writer aus. In Internet-Verbraucherforen war dieser Fehler bekannt: Der DVD-Schreiber ist mechanisch so schwach ausgelegt, dass ein vorzeitiges Versagen auftreten muss. Doch dies müsste nicht zwangsläufig so sein. So existieren in PCs DVD-Writer, die auch nach 10 Jahren noch klaglos ihre Dienste verrichten. Natürlich gab es vom Hersteller die Möglichkeit zur Reparatur. Der Preis lag für den DVD-Schreiber bei 250 €. Ein Neugerät kostete dagegen nur 40 € mehr. Hier wird ein weiteres Problem deutlich. Viele namhafte Hersteller von Unterhaltungselektronik unterhalten einen Reparaturservice nur zu Legitimationszwecken. Die Preise für Ersatzteile liegen so hoch, dass eine Reparatur nicht mehr lohnt, insbesondere weil die Kunden ahnen, dass bald die nächsten Komponenten ausfallen werden.
Kommen wir zu einer besonders perfiden Obsoleszenzstrategie: Aufladbare Akkus in elektrischen Zahnbürsten, Rasierapparaten oder MP3-Playern. Der Trick besteht darin, die Akkus fest in das Gehäuse einzuschweißen. Das macht es dem normalen Benutzer unmöglich, sie zu wechseln, wenn ihre Lebensdauer überschritten ist. Das Gerät ist dann trotz voller Funktion nur noch für den Müll gut. Der vielgepriesene Apple-Konzern hat auch auf diesem Gebiet seine Geschäftstüchtigkeit bewiesen. Nachdem Kunden in den USA wegen der eingeschweißten Akkus Klagen gegen Apple angestrengt hatten, ermöglicht der Konzern jetzt bei einzelnen Geräten einen Akku-Wechsel. Allerdings nicht durch den Kunden selbst. Sondern das Gerät muss eingesandt werden, damit eine firmeneigene Abteilung den Akkutausch vornimmt. Der Preis ist so hoch, dass der Neukauf eines Gerätes näher liegt.
Neben der beschriebenen funktionalen Obsoleszenz durch Geräteversagen gibt es die technische Obsoleszenz, die von großen kapitalistischen Konzernen immer zielsicherer umgesetzt wird. Das Vorbild sind Methoden aus der Software-Welt. Hier hat es sich mittlerweile eingebürgert, dass in rascher Folge immer neue Programmversionen herausgebracht werden. Irgendwann wird der Kunde durch auftretende Kompatibilitätsprobleme gezwungen, eine höhere Version zu beschaffen. Dieses Vorgehen hat in der Hardware-Welt schnell Nachahmer gefunden. So hat beispielsweise eine Digitalkamera, deren Vorläufer nur 5 Megapixel Auflösung hatte, in der neuen Version 7 Megapixel. Und das neue Modell eines Flachbildfernsehers hat nicht nur eine höhere Auflösung sondern ist sogar noch flacher. Und die darauf folgende Version kann bereits 3 D. Es entstehen also mit jedem Versionswechsel immer wieder neue Gründe zum Neukauf von Geräten.
Doch Obsoleszenzstrategien sind nicht auf technische Geräte beschränkt. Bei der Bekleidung, die bereits seit langem einer massiven Modeobsoleszenz ausgesetzt ist, beklagen Altkleidersammler, dass der Anteil der unbrauchbaren Kleider in ihren Sammel-Containern in den letzten Jahren massiv zugenommen hat. Der Grund: Insbesondere bei den Discountern wird Bekleidung zur Saisonware, bei der nach 3 bis 4- maligem Waschen die Nähte reißen und die Farben verbleichen. Sie sind dann höchstens noch als Putzlappen verwertbar.
Werfen wir noch einmal einen Blick auf das Thema Reparatur. Hier ist festzustellen, dass es den Herstellern in den letzten 3 Jahrzehnten gelungen ist, Reparaturbetriebe fast komplett vom Markt zu drängen. Der Grund: Zunehmender Plastikeinsatz, fest verschweißte Produkte, an die kein Drankommen mehr ist und überteuerte Ersatzteile. Dazu kommt moderne Elektronik einschließlich der auf Mikrocontrollern laufenden Programme. Weder Schaltpläne noch Programm-Codes werden veröffentlicht – eine fast unüberwindbare Hürde. Während früher Bastler ihre Autos noch selbst reparieren konnten, ist dies heute immer weniger möglich. Nur lizenzierte Werkstätten haben zu einzelnen Bereichen noch den Zugangscode, aber auch sie können nur noch ganze Funktionsblöcke austauschen.
Aber nicht nur die Reparatur sondern auch das Recycling kapituliert vor Elektronikgeräten. Die Bauteile enthalten einen von außen nicht einsehbaren Mix von seltenen Erden, Gold, Zinn, Kupfer, Blei usw. Nur wenige Stoffe können unter einer hohen Giftbelastung von Mensch und Umwelt in Indien oder Afrika aus den Platinen herausgebrannt werden. 2011 wurde in einer Studie im Auftrag der UN der Stand des Metall-Recyclings betrachtet. In die Untersuchung gingen 60 Metalle ein. Danach wird nur ein Drittel zu über 50 % recycelt. Bei 50 % der betrachteten Metalle findet dagegen praktisch kein Recycling statt.
Obsoleszenzstrategien haben für den Kapitalismus heute eine große Bedeutung: Die Produktion wird trotz Marktsättigung weiter auf hohem Niveau gehalten. Negativ zu Buche schlagen der sinnlose Rohstoff- und Energieverbrauch sowie die Vergiftung von Menschen und Umwelt in den Rohstofflieferländern. In einer Zeit der globalen ökologischen Krise mit globaler Erwärmung, Umweltvergiftung und Rohstoffverknappung gibt es eigentlich keinerlei Legitimation mehr für diese kapitalistische Strategie.
Es wäre daher dringlich, dass die politische Linken formuliert, die den Obsoleszenzwahnsinn in Frage stellt. Besonders wichtig wäre die Forderung nach einer gesetzlich erhöhten Produktlebensdauer und Haftung bei Nichteinhaltung. Betrachten wir dazu das Beispiel Kühlschranke. In der DDR gab es eine Verordnung, die eine Haltbarkeit dieser Geräte von mindestens 25 Jahre vorschrieb, was auch eingehalten wurde. Warum sollte man angesichts des technischen Fortschritts heute nicht 40 Jahre Mindestlebensdauer für Kühlschränke fordern? Und für Digitalkameras und Fernseher 20 Jahre, für Waschmaschinen 30 Jahre usw. Weiterhin müssen Produkte so konstruiert werden, dass sie auch reparaturfähig sind. Das bedeutet ihre Demontierbarkeit und die verpflichtende Bereitstellung von Reparaturanleitungen. Das ganze macht aber nur Sinn, wenn auch Schaltpläne und Programmcodes veröffentlicht werden. In einer Zeit, wo Open Source-Diskussionen weit verbreitet sind, sollte vor einer solchen Forderung nicht zurückgeschreckt werden.
Gleichfalls sollten Produkte auch auf Recyclingfähigkeit ausgelegt werden. Das bedeutet eine reduzierte Materialvielfalt sowie eine weitgehende Trennbarkeit der eingesetzten Materialien. Damit sich Reparatur- und Recyclingprozesse aber auch dauerhaft einspielen können, müssen Produktlebenszyklen langlebiger werden. Das bedeutet ein Ende der heute üblichen ständigen Produktänderungen.
Die bürgerlichen Kräfte werden angesichts eines solchen Programms den Untergang des Abendlandes prophezeien. Eine Beseitigung der Obsoleszenz ist aber gar wohl mit einem guten Leben zu vereinbaren – nicht aber mit einem umweltzerstörenden Kapitalismus.
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