Lithiumabbau in Serbien: Das Dilemma eines „grünen“ Kapitalismus

Klaus Meier

In Serbien hat sich in den letzten Wochen und Monaten ein Konflikt zusammen gebraut, der weit über die Grenzen des kleinen Balkanstaates hinaus Wellen schlägt. Der internationale Bergbaukonzern Rio Tinto plant, in der Region Lithium abzubauen – ein unverzichtbarer Rohstoff für die Batterien von Elektroautos, die als Hoffnungsträger einer angeblich klimafreundlichen Mobilität gelten. Die deutschen und europäischen Politiker weisen dem Bergbauprojekt eine große Bedeutung zu. Bundeskanzler Olaf Scholz reiste deswegen extra nach Belgrad und traf sich vor Ort mit dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic. Dort pries er die angebliche Rohstoffpartnerschaft zwischen Serbien und der Europäischen Union in den höchsten Tönen. Dazu erklärte er: „Wir müssen unsere Abhängigkeiten verringern, wir müssen resiliente Strukturen in unseren Lieferketten haben.“ Während Scholz das Bergbauprojekt nachdrücklich unterstützte, um die deutsche Automobilindustrie zu versorgen, regte sich vor Ort aber bereits heftiger Widerstand. Zehntausende Serben protestieren gegen den Abbau, der ihrer Ansicht nach eine massive Umweltverschmutzung nach sich ziehen könnte. Umweltschutzorganisationen fürchten durch den Abbau des Rohstoffes eine Verunreinigung des Grundwassers mit Schwermetallen.

Die dunkle Seite der Elektromobilität

Lithium, ein leichtes und hochreaktives Metall, ist der Schlüssel für die Herstellung von Lithium-Ionen-Batterien, die in Elektrofahrzeugen eingesetzt werden. Diese Fahrzeuge sollen im Mobilitätssektor angeblich den Weg in eine CO₂-neutrale Zukunft ebnen. Doch dieser technologische Fortschritt hat seinen Preis. Der Abbau von Lithium ist ein ressourcenintensiver Prozess, der nicht nur enorme Wassermengen benötigt, sondern auch das Risiko birgt, Böden und Gewässer zu verschmutzen. In dicht besiedelten Regionen wie Serbien aber auch in Portugal und Spanien, wo ähnliche Projekte geplant sind, haben sich deshalb breite Protestbewegungen formiert. Die Sorge der Bevölkerung vor irreversiblen Umweltschäden ist groß. Alle Erfahrungen mit Bergbauprojekten zeigen, dass sie berechtigt sein dürften.

Die Grenzen des Wachstums: Rohstoffknappheit und Preisexplosionen

Doch die ökologischen Probleme des Lithium-Bergbaus sind nur ein Teil des kapitalistischen Dilemmas. Die Elektromobilität steht vor einer Herausforderung, die ihre nachhaltige Zukunft infrage stellt: der weltweiten Rohstoffknappheit. Sollten alle 1,3 Milliarden Autos, die heute auf den Straßen der Welt unterwegs sind, mit Lithiumbatterien ausgestattet werden, würden die derzeit bekannten Reserven des Metalls nicht ausreichen. Bereits heute ist Lithium ein knappes Gut, und die Preise steigen in dem Maße, wie die Nachfrage wächst. Diese Entwicklung führt zu einer paradoxen Situation: Je mehr Lithium für Elektroautos benötigt wird, desto teurer wird das Material – was wiederum die Verbreitung dieser Fahrzeuge bremst und die Vision eines „grünen Kapitalismus“ im Autosektor ins Stocken bringt.

Das Modell des grünen Kapitalismus: Ein fragiles Konstrukt

Die Propagierung von Elektroautos als klimafreundliche Alternative zu Verbrennungsmotoren ist ein zentraler Bestandteil des Konzepts des „grünen Kapitalismus“. Dieses Modell verspricht, das profitable Geschäftsmodell des Autoindividualverkehrs auch in einer CO₂-freien Welt zu bewahren. Doch in der Praxis zeigt sich, dass dieser Weg holprig ist und vermutlich ins Nirgendwo führen wird. Die Elektromobilität erweist sich als extrem rohstoffintensiv, und die steigende Nachfrage nach seltenen Rohstoffen wie Lithium, Kobalt und Nickel treibt nicht nur die Preise in die Höhe, sondern führt auch zu geopolitischen Spannungen und sozialen Konflikten in den Abbauregionen.

Darüber hinaus steht die Automobilindustrie vor einem weiteren Dilemma: Die großen Konzerne verdienen nach wie vor gut am Verkauf von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren. Diese Technologie ist etabliert, die Margen sind hoch, und die Investitionen in Forschung und Entwicklung sind längst amortisiert. Der Umstieg auf Elektroautos hingegen ist mit hohen Unsicherheiten verbunden – sowohl technologisch als auch wirtschaftlich. Viele Hersteller zögern daher, sich voll und ganz auf das Geschäft mit Elektrofahrzeugen einzulassen.

Die verdeckten Interessen: Widerstände gegen ökologischen Umbau

Diese Zurückhaltung zeigt sich nicht nur in der Automobilindustrie, sondern auch in anderen Bereichen, in denen grüne Technologien eingeführt werden sollen. Ein ähnliches Muster ist bei der sogenannten Wärmewende zu beobachten. Statt auf ökologisch sinnvolle Wärmepumpen umzusteigen, setzen viele Hersteller weiterhin auf klimaschädliche Gasheizungen – einfach, weil sie damit gut verdienen. Zu diesem Zweck werden dann immer wieder Kampagnen organisiert. Gegen Wärmepumpen wie gegen Wind- und Solarenergie. Und genauso gegen eine Abkehr von fossil betriebenen Verbrennern. Hier wie dort finden sich auch immer bürgerliche Politiker, die bereitwillig die Interessen der Industrie unterstützen, oftmals über versteckte informelle Kanäle und ohne großes öffentliches Aufsehen.

Verkehrswende statt Elektromobilität?

Angesichts dieser Herausforderungen müsste eigentlich ein grundlegend neues Mobilitätskonzept entwickelt werden, das nicht auf Autoindividualverkehr setzt, sondern auf den Ausbau eines effizienten und gut vernetzten öffentlichen Verkehrssystems. Ein solcher Wandel würde nicht nur den Ressourcenverbrauch drastisch reduzieren, sondern auch das Verkehrsaufkommen in den Städten verringern und die Umweltbelastung senken. Doch dieser Weg würde das Geschäftsmodell der kapitalistischen Autokonzerne massiv gefährden – ein Risiko, das weder die Industrie noch die mit ihr verbundenen politischen Akteure bereit sind einzugehen.

Die Lithiumproteste in Serbien stehen daher symbolisch für das größere Dilemma der Vision eines angeblich grünen Kapitalismus: den Versuch, ein überholtes und umweltzerstörerisches Wirtschaftssystem durch technologischen Fortschritt zu retten, ohne die Strukturen der kapitalistischen Konzerne grundlegend zu verändern. Die Frage bleibt, wie lange dieses fragile Konstrukt noch aufrechterhalten werden kann, bevor es unter dem Druck seiner eigenen Widersprüche vollends ins Trudeln gerät.