Zunächst einmal gibt es keine eindimensionale Erklärung, sondern es gibt mehrere Gründe: Erstens hat sich der Schwerpunkt des Weltautomarktes nach Ost- und Südostasien verlagert. Dieser Verschiebung folgt mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung aber auch ein wichtiger Teil der Produktion. Das ist das, was wir jetzt erleben. Damit wird Europa im Vergleich zu Ost-/Südostasien und Nordamerika zu einer nachgeordneten Produktionsstätte. Das betrifft insbesondere Deutschland. Seit 2016 sind die jährlichen Ausfuhren von Autos aus deutscher produktion um 40 % eingebrochen, von 4,4 auf 2,6 Millionen Fahrzeuge. Im ersten Halbjahr 2023 verschiffte die Branche zwar wieder etwas mehr Neuwagen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Vom Spitzenwert ist dies aber weit entfernt. Und die Perspektiven sehen schlecht aus. So beschloss jüngst Mercedes-Benz sein SUV-Werk in Tuscaloosa im Bundesstaat Alabama zu vergrößern. Die Elektroversion des gut laufenden Fahrzeugs GLC würde dann im Gegensatz zum Verbrenner nicht mehr aus Deutschland importiert.
Generell gilt, dass neben Mercedes auch VW, BMW und Audi immer mehr Fahrzeuge in den Regionen produzieren, in denen sie auch verkauft werden. Das hat negative Konsequenzen für den „Standort Deutschland“. Zweitens versuchen die Autohersteller Europas durch eine immer weitergehende Verlagerung ihrer Produktion in die Niedriglohnländer Osteuropas ihre Profitmarge zu optimieren.
Die Konsequenz dieser ersten beiden Entwicklungen ist, dass die Zahl der in Deutschland produzierten Autos merklich abnimmt. Während in den 2010-er Jahren die hiesige Inlandsautoproduktion immer im Bereich von 5 bis 6 Millionen Pkws lag, ist sie in 2021 auf nur noch 3,1 Millionen abgesackt. Es könnte zwar sein, dass in 2023 die Zahl der im deutschen Inland produzierten Autos gegenüber 2022 ansteigen wird, aber sicher ist das nicht.
Der dritte Grund für den Verlust von Arbeitsplätzen im Automobilsektor ist die Umstellung auf Elektroautos. Während ein Verbrennungsmotor sehr kompliziert ist und aus rund 1000 Einzelteilen besteht, hat ein Elektromotor eine einfache Struktur und besteht nur noch aus etwa 200 Einzelteilen. Es gibt verschiedene Studien, die allein dadurch einen Verlust von bis zu 400.000 Jobs prognostizieren. Wie dramatisch sich die Abkehr vom Verbrennungsmotor entwickelt, zeigt sich beispielhaft am Automobilzulieferer Eberspächer. Bisher verdiente das Esslinger Familienunternehmen zwei Drittel seines Umsatzes mit Komponenten für die Abgastechnologie. Diese Sparte soll nun verkauft werden. Vor acht Jahren hatten die Esslinger das schon einmal angedacht. Ein US-Konkurrent bot damals rund eine Milliarde Euro, was Eberspächer aber als zu wenig befand. Jetzt soll ein neuer Verkaufsversuch stattfinden, aber schon in einem deutlich schlechteren Umfeld. Das Handelsblatt zitiert Experten, die schätzen, dass die Abgassparte des Familienunternehmens im Vergleich zum letzten Verkaufsversuch heute bestenfalls nur noch die Hälfte wert ist. Wobei es schwer sei, überhaupt noch Käufer für ein Relikt aus den Hochzeiten der Verbrennertechnologie zu finden.
Ein vierter Grund für eine Strukturkrise der deutschen Autoindustrie wird immer bedeutsamer. Es ist die zunehmende internationale Konkurrenz insbesondere bei den Elektroautos und auf dem Gebiet der Digitalisierung. Hier drohen die deutschen Hersteller bezüglich ihrer Konkurrenten ins Hintertreffen zu geraten. Ein Schlaglicht auf die Situation der deutschen Autokonzerne warf am Anfang des Jahres eine Studie des renommierten Analysehauses J. D. Power aus Michigan. Es ging dabei um die Verlässlichkeit der Automarken, also Produktionsfehler und Ausfälle pro 100 Fahrzeuge. Danach rangieren die deutschen Hersteller bei der Qualität ihrer Fahrzeuge weit abgeschlagen auf den hinteren Plätzen. Nur BMW liegt gerade noch oberhalb des branchenweiten Durchschnitts. Die Probleme der deutschen Hersteller sind auf dem weltweit größten Automarkt in China bereits unübersehbar. Beim Absatz der immer wichtiger werdenden Elektrofahrzeuge haben hier die einheimischen Hersteller bereits die Nase vorn. In den Top Ten der meistverkauften Batteriefahrzeuge taucht kein einziges deutsches Modell mehr auf. Der Marktanteil von VW beträgt im Elektroautogeschäft mittlerweile nur noch rund zwei Prozent, bei den Verbrennern sind es noch 15. Ganz vorne im Elektromarkt liegt dagegen der chinesischen BYD-Konzern, gefolgt von Tesla. Doch die chinesischen Hersteller wollen auch den europäischen Markt erobern. Bereits auf der IAA in München war der Messestand von BYD doppelt so groß wie der von Mercedes. Auch andere Hersteller, wie Xpeng oder MG waren hier vertreten. Die deutschen Konzerne drohen mittelfristig auf dem Gebiet der Elektrifizierung und insbesondere der Digitalisierung den Anschluss zu verlieren. Vereinfacht gesagt geht es darum, effizient möglichst viel Software in den Fahrzeugen zu platzieren. Die chinesischen Hersteller und Tesla sind in diesem Bereich führend. Der Experte Stefan Bratzel vom Center of Automotive Mangement (CAM) formuliert das noch zurückhaltend, wenn er sagt: „Die chinesischen Automobilhersteller sind mittlerweile in puncto Innovation und Qualität mindestens auf Augenhöhe mit den Wettbewerbern aus Deutschland und den USA.“ Dazu kommt, dass die chinesischen E-Automodelle deutlich preisgünstiger sind. Der Chef des Zulieferers Marquardt erklärte dazu kurz und knapp: „Wenn ich für ein chinesisches Elektroauto 25.000 Euro zahlen muss oder 40.000 für ein deutsches, dann ist doch relativ klar, wofür sich viele Kunden entscheiden oder entscheiden müssen.“ In den Medien kursieren Berichte, dass Chinas Autobauer und Logistikfirmen in den vergangenen Monaten bereits Dutzende Autofähren geordert haben, um künftig hunderttausende Elektrofahrzeuge auf den europäischen Markt zu bringen. Angesichts dieser Lage sind die Versuche einiger deutscher Hersteller und Zulieferer, auf dem kleinen hiesigen Automarkt die Abkehr vom Verbrenner zu verzögern, eher als ein Akt der Schwäche zu werten. Weltweit gilt die Batterie als Antrieb der Zukunft. Wer in diesem kapitalistischen Marktsegment nicht mitmacht, wird marginalisiert.
Das Umfeld der Autoindustrie in Deutschland hat sich offensichtlich verändert. Noch profitieren einige deutsche Hersteller vom Auftragsüberhang, der durch den vorübergehenden Chip-Mangel entstanden ist. Dass die fetten Jahre bald vorbei sind, ist aber schon absehbar. Doch nicht nur für die deutschen Autokonzerne ändert sich die Lage. Auch Gewerkschafter:innen und Klimaschützer:innen befinden sich in einem neuen Umfeld. Sie müssen sowohl ihre Antworten als auch ihre Argumentationen an die neuen Gegebenheiten anpassen. Im Folgenden soll dazu am Beispiel von Ford und VW dargelegt werden, wie kritisch die Situation der Beschäftigten in der deutschen Autobranche mittlerweile aussieht.
Das was die Opel-Belegschaft erleben musste, droht zu einer Blaupause für die Ford-Beschäftigten zu werden. Anfang 2023 erklärten die Chefs dieses Konzerns, dass im Kölner Ford-Werk rund 3200 Arbeitsplätze wegfallen sollen – knapp ein Viertel der Belegschaft. Ein massiver Einschnitt. Ein wichtiger Grund ist, dass die Produktion für den bisher in Köln gefertigten Ford-Fiesta, ein Verbrenner, noch in 2023 eingestellt und durch die Produktion eines E-Autos ersetzt werden soll. Doch es droht weiteres Ungemach: Der Stellenabbau soll vor allem das Kölner Entwicklungszentrum treffen. Die bisher in Europa durchgeführten Entwicklungsarbeiten werden zukünftig in die USA verlagert. Damit wird das technologische Herzstück der europäischen Ford-Marke zerschlagen und der Produktionsstandort Köln wird zu einer beliebig austauschbaren europäischen Werkbank degradiert. Das lässt Böses für die Zukunft ahnen.
Bereits in den letzten Jahren wurden bei Ford in mehreren Wellen tausende Arbeitsplätze vernichtet. Die Betriebsräte haben diesem Stellenabbau immer wieder zugestimmt. Die vergebliche Hoffnung war, dass damit die Fabriken dauerhaft gesichert würden. Anfang 2022 ließen die Ford-Chefs die europäischen Produktionsstätten Saarlouis und Valencia in einem Bieterwettbewerb gegeneinander antreten. Das profitablere Werk sollte überleben und als Gewinn winkte die Produktion eines neuen E-Autos. Ein unglaublich zynisches Verfahren. Verloren hat das deutsche Werk in Saarlouis, denn es hat höhere Produktionskosten (Löhne). Die Folge: Bis 2025 soll am saarländischen Standort noch der Ford Focus produziert werden. Danach ist Schluss. Damit wird den rund 4600 Beschäftigten im saarländischen Werk und den 2000 Lohnabhängigen in den Zulieferunternehmen der Teppich unter den Füßen weggezogen.
VW war jahrelang ein Primus auf dem weltweiten Automarkt und begann zum weltweit größten Hersteller aufzusteigen. Das hat sich mittlerweile verändert. Der VW-Markenchef erklärte auf einem internen Treffen den anwesenden 2000 VW-Automanagern die Lage im Konzern so: The roof is on fire“ – Das Dach brennt lichterloh. Und weiter: „Die Zukunft der Marke VW steht auf dem Spiel.“ Das Umfeld, in dem sich VW befinde, sei „nichts weniger als ein perfekter Sturm.“ Der Hintergrund: Der Verkauf von VW-Modellen ist auf dem für den Konzern äußerst wichtigen Automarkt China dramatisch eingebrochen und auch in Europa droht die Lage schwieriger zu werden. Besonders problematisch für den Wolfsburger Konzern ist, dass sich die chinesischen Kunden an den Mängeln der VW-Software stören. Bisher hat VW seine eigene Elektroplattform „Modularer Elektrobaukasten“ (MEB) eingesetzt. Nun sucht der Konzern chinesische Technologie-Partner, die ihm helfen, seine Defizite zu überwinden. Kooperationen gibt es bereits mit dem Elektroautobauer Xpeng und dem Technologie-Unternehmen Horizon Robotics. Dass VW sich Partnerschaften sucht, ist als Zeichen eines mangelnden Vertrauens in die eigenen Fähigkeiten und insbesondere die eigene Software-Kompetenz zu werten. Bei den von VW-Leitung ausgegebenen Warnrufen geht es aber vordergründig um eine schnelle Erhöhung der Rendite. Derzeit liegt sie gerade mal bei rund drei Prozent. Wettbewerber wie Renault oder Toyota erzielen dagegen mehr als 6,5 Prozent. Daraus ergeben sich die exzessiven Renditeziele der VW-Chefs: Bei der Kernmarke VW soll sie auf 6,5 % ansteigen, ein Wert, der bisher noch nie erreicht wurde. Die gesamte sog. Volumengruppe (VW, Seat, Skoda) soll 8 Prozent erreichen, Audi eine Marge von 12 bis 14 % und Porsche sogar 20 %. Um diese Gewinne zu erzielen, müssten die Marken mehrere Milliarden Euro einsparen. Das Handelsblatt zitiert einen Aufsichtsrat, der dazu sagt: „Beim Gewinn muss mehr drin sein.“ Um das zu erreichen, gehöre jetzt alles auf den Prüfstand, so die VW-Oberen. Um die Kosten zu senken, sollen die Volumenmarken weniger Modelle und Ausstattungsvarianten anbieten. Die Werke sollen markenübergreifend besser ausgelastet werden. Das bedeutet, dass künftig Modelle von Skoda, Cupra und VW von einem Band laufen sollen. Das Wolfsburger Stammwerk selbst soll weniger produzieren. Das bedeutet, dass VW in Zukunft aber auch weniger Arbeitskräfte benötigt. Es wird behauptet, dass dies alles noch „sozialverträglich“ über die normale Altersfluktuation abgefangen werden könne. Es ist aber keineswegs sicher, dass das so bleiben wird.
In der Folge dieses Krisenszenarios gibt es im Automobilsektor zunehmende Ängste um die Arbeitsplätze. Sie werden zukünftig eine Konstante sein, mit der man politisch rechnen muss. Wie lautet darauf die Antwort der Politik und der IG Metall? Das Beispiel von Ford Saarlouis ist erhellend. Die saarländische Landesregierung hofft, dass auf dem Betriebsgelände von Ford ab 2025 neue Unternehmen angesiedelt werden können, die dann die Ford-Belegschaft übernehmen. Wo die hergezaubert werden sollen, ist aber völlig nebulös. Bereits bei der Schließung des Opel-Werkes in Bochum wurden ähnliche Illusionen verbreitet, die aber alle scheiterten. Leider hat auch die IG Metall keine Antwort. Sie ruft zwar immer wieder nach einer Beschäftigungsperspektive, kann aber selbst keinen Hinweis geben, wie sie aussehen könnte. Was aber dann?
Eine einfache Fortsetzung der Autoproduktion ist angesichts der massiven Konkurrenz und der Überproduktion auf dem Automarkt nicht mehr vorstellbar. Das wäre vor allem aus ökologischen Gründen ein Katastrophenkurs. Der Autoindividualverkehr, egal ob mit Elektro- oder Verbrennermotoren, gehört mit zu den Haupttreibern der ökologischen Zerstörung. Deswegen brauchen wir auch keinen 1:1-Ersatz der Verbrenner durch Elektrofahrzeuge, wie es die Grünen herbeisehnen. Dafür existieren auch gar nicht die materiellen Grundlagen: Weder Platz in den Städten, noch Rohstoffe noch ausreichend erneuerbare Energien. Es existiert aber ein hoher Bedarf, die öffentlichen Verkehrsmittel auszubauen. Das hat sowohl das kurzfristige 9-Euro- als auch das 49-Euro-Ticket gezeigt. Insbesondere die Eisenbahnen wurden beim 9-Euro-Ticket von der Nachfrage förmlich überrannt. Hier ist offensichtlich Bedarf und und durch den Ausbau des öffentlichen Personenverkehrs könnte eine Alternative zur klimaschädlichen Autonutzung aufgebaut werden.
Selbst die Bundesregierung hat versprochen, dass sie bis 2030 die Nutzerzahlen im öffentlichen Personenverkehr verdoppeln will. Bereits das würde eine massive Steigerung der im Einsatz befindlichen Eisenbahnen erfordern. Wollte man sogar einen Großteil des gesamten anachronistischen Autoindividualverkehrs durch öffentliche Verkehrsmittel ersetzen, müsste man die Zahl der Züge und Busse sogar verdreifachen. Dieser Wert ergibt sich, wenn man die vom Automobilverkehr realisierten Personenkilometer (Pkm) pro Jahr durch die Pkm des heutigen Schienen- und Busverkehrs dividiert und anschließend einen mittleren Auslastungsgrad wie im Fernverkehr zugrunde legt. Wie man diesen Ausbau des öffentlichen Personenverkehrs in einem sinnvollen Zeitraum realisieren kann, scheint zunächst einmal unklar. Das Hauptproblem: Es existieren keine ausreichenden Kapazitäten in der kleinen deutschen Bahnindustrie, die im Kern aus Siemens Mobility und Alstom besteht und gerade einmal 53.100 direkt Beschäftigte zählt. Betrachtet man nur die Beschäftigten im direkten Schienenfahrzeugbau, so sind es sogar nur 24.000. Zum Vergleich: In der Automobilindustrie zählen die OEMs in 2021 nach Angaben des VDA 460.600 Mitarbeiter:innen. Diese Zahl ist 19-Mal so groß wie die der direkt Beschäftigten im Schienenfahrzeugbau. Das heißt aber auch, dass allein mit diesen wenigen Beschäftigten kein schneller Umbau zu einem ökologischen Verkehrssystem erreicht werden kann.
Allerdings könnte ein großer Teil der heutigen Autoindustrie auf die Schienenfahrzeugproduktion umgestellt werden. Statt großer Elektro-SUVs und spritfressender Verbrenner könnten dann bei BMW, VW, Ford und ihren Zulieferern Komponenten für öffentliche Verkehrsmittel, wie Eisenbahnen oder auch Busse, produziert werden. Die dort arbeitenden IngenieurInnen und ArbeiterInnen haben eine hohe Kompetenz in der Blechumformung, der allgemeinen Metallbearbeitung, der Maschinennutzung, der Montage und der Steuerungstechnik, die sie dazu befähigen. Sie haben zudem Erfahrungen mit regelmäßigen großen Produktionsänderungen, denn im Durchschnitt werden die Fertigungshallen der Autobranche alle 6 bis 7 Jahre auf neue Serienmodelle umgestellt. Und die können sich von Fall zu Fall erheblich unterscheiden. Das umfasst einen völligen Umbau der Montageeinheiten, eine Neuprogrammierung der Roboter und Fertigungsmaschinen. Auch für die Beschäftigten ergeben sich dann veränderte Aufgabenstellungen und Umschulungen. Diese Erfahrungen und Fähigkeiten können für eine Umstellung der Autoproduktion auf Eisen- und Straßenbahnen genutzt werden.
Es gibt natürlich Unterschiede zwischen dem Bau von Autos und Eisenbahnwaggons. Letztere werden in den Werken bisher parallel nebeneinander zusammengebaut, während im Automobilbau die Fahrzeuge in einem seriellen Fluss montiert werden. Die parallel Produktion bedeutet aber auch eine höhere Beschäftigungswirkung in der Bahnindustrie. Der Eisenbahnexperte Knierim geht in einer Veröffentlichung von 2022 aufgrund eigener Rechnungen davon aus, dass bei einer Verdoppelung der Eisenbahn-Fahrgastzahlen ein Beschäftigtenwachstum in der Eisenbahnindustrie von 50 – 78 % erforderlich wäre. In Zahlen ausgedrückt ist das eine Zunahme von bisher 200.000 auf 300.000 – 355.000 Personen. Es ist an dieser Stelle anzumerken, dass eine Verdoppelung der Fahrgastzahlen noch zu einem gewissen Teil durch eine Verdichtung der Taktrate auf den Eisenbahnstrecken ausgeglichen werden kann. Aber je mehr der Eisenbahnsektor anwachsen soll und je mehr die Kerninfrastruktur ausgebaut werden muss, desto größer wird die Beschäftigungswirkung sein. Die kleine heutige Eisenbahnindustrie stößt hier rasch an ihre Grenzen. Diese Betrachtung zeigt, dass ein schneller Ausbau der heutigen Eisenbahnen und des ÖPNV nur durch eine Produktionsumstellung bestehender Strukturen der Automobilunternehmen erreichbar ist.
Nicht zuletzt aus diesem Grund sollte die Klimabewegung ein Interesse daran haben, sich gegen die Zerstörung der Produktionskapazitäten bei Ford, Opel oder auch bei den Automobilzulieferern zu wenden. Realistisch muss man feststellen, dass dieses Verständnis heute nur bedingt gegeben ist. Diese Orientierung muss noch in die Bewegung hineingetragen werden. In den Köpfen der Automobilbeschäftigten sollte umgekehrt unzweideutig verankert werden, dass die Klimabewegung für die Verteidigung dieser Industriearbeitsplätze steht, allerdings bei einer Umstellung der Produktion auf Güter des ÖPNV. Dass diese Position auch für die IG Metall bedeutsam ist, zeigt ein Rückblick auf die Debatten und Proteste um Ford Saarlouis. Den Beschäftigten hätte hier von der IG Metall eine alternative Perspektive vermittelt werden können, für die sich ein Kampf lohnen würde: Die Fertigung öffentlicher Verkehrsmittel in vergesellschafteten ehemaligen Autobetrieben in Saarlouis und Köln. Diese politische Orientierung muss bereits in ruhigen Zeiten verbreitetet werden. Sie kann aber nur in einer kritischen Arbeitsplatzsituation wirkmächtig werden. Nämlich dann, wenn ein größeres Werk in der Automobilbranche mal wieder geschlossen werden soll. Dann könnten aktive Proteste der Beschäftigten für Weiterbetrieb und Produktionsumstellung bei einer gleichzeitigen massiven Solidarität durch die Klimabewegung eine ansonsten starre Front von Regierung und Kapital schnell ins Wanken bringen.
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