Klimakrise, Ressourcen und der koloniale Kapitalismus

Jason Hickel

Der nachfolgende Text ist eine Rede, die Jason Hickel auf der Konferenz „50th Anniversary Congress on the New International Economic Order“ in Kubas Hauptstadt Havanna hielt, die  vom 28. April bis 1. Mai 2024 stattfand. Der Beitrag von Jason Hickel wurde von der australischen Webseite Green Left (https://www.greenleft.org.au/content/jason-hickel-climate-energy-and-natural-resources) veröffentlicht.

Hickel speaking at the University of Oxford in 2022, Autor: Ana Guterres

Genossinnen und Genossen,

ich brauche Euch nichts vom Ernst der Lage erzählen, in der wir uns befinden. Es starrt jedem mit einem Funken Verstand ausgestatteten Beobachter ins Gesicht. Aber leider ist die vorherrschende  Analyse dieser Krise und dessen, was dagegen zu tun ist, absolut unzureichend. Wir sprechen von „Anthropozän“, aber wir müssen darüber im Klaren sein: Es sind nicht die Menschen als solche, die diese Krise verursacht haben. Der Kurs in Richtung ökologischer Zusammenbruch ist getrieben durch das kapitalistischen Wirtschaftssystem, und ist — wie der Kapitalismus selbst —stark von kolonialer Dynamik geprägt.

Das wird deutlich bei einem genaueren Blick auf die Ursachen des Klimawandels. Die Länder des globalen Nordens sind für rund 90% aller kumulativen Emissionen und damit letztlich auch den Klimawandel verantwortlich. Dazu kommen noch  die Überschreitungen mehrerer der von Klimaforschern festgestellten nein planetaren Grenzen. Der globale Süden, womit ich ganz Asien, Afrika und Lateinamerika meine, ist zusammen  nur für etwa 10% der CO2 Emissionen verantwortlich. Die meisten der Länder des Südens bewegen sich, was die CO2 Emissionen betrifft, noch innerhalb des Rahmens, der zulässig ist, um die plantaren Grenzen einzuhalten. Sie tragen damit so gut wie gar nicht zur Verschärfung der aktuellen Klimakrise bei.

Hingegegen sind die Gebiete des globalen Südens von der Klimakatastrophe besonders schwer betroffen.  Der Süden erleidet 80-90 % der wirtschaftlichen Schäden, die durch den Klimazusammenbruch verursacht werden, und etwa 99 % aller klimabedingten Todesfälle. Mit der derzeitigen Politik steuern wir auf eine globale Erwärmung von etwa 3⁰C zu. Bei diesem Wert werden etwa zwei Milliarden Menschen in den Tropen extremer Hitze und einem erheblich erhöhten Sterblichkeitsrisiko ausgesetzt sein; Dürren werden die landwirtschaftlichen Systeme destabilisieren und zu Ausfällen in mehreren globalen Kornkammern führen. Hunderte Millionen Menschen werden aus ihren Häusern vertrieben werden.

Klimakrise und Kolonialismus

Die Klimakatastrophe hat viel mit Prozessen der Kolonialisierung der Atmosphäre gemein. Die Atmosphäre ist ein gemeinsames Gut, von dem wir alle für unsere Existenz abhängen. Die Kernwirtschaften des Nordens  haben sie sich die Welt zum Zwecke ihrer eigenen Bereicherung angeeignet, mit verheerenden Folgen für alles Leben auf der Erde…

Im Jahr 2015 einigten sich die Regierungen der Welt in Paris darauf, die globale Erwärmung auf 1,5⁰C oder „deutlich unter“ 2⁰C zu begrenzen und dabei das Prinzip der Gerechtigkeit zu wahren. Um dieses Ziel zu erreichen, müssten die Länder mit hohem Einkommen, die extrem hohe Pro-Kopf-Emissionen haben, eine extrem schnelle Dekarbonisierung erreichen.

Dies ist nicht der Fall. Beim derzeitigen Tempo des Prozesses der Dekarbonisierung würden die Industrieländer des Nordens im Durchschnitt mehr als 200 Jahre brauchen, um ihre Emissionen auf Null zu bringen. Sie überschreiten bei den CO2 Emissionen  den ihnen gemäß des Pariser Abkommens zustehenden Anteil am plantaren Kohlenstoffbudget um ein Vielfaches.

 

Die Lösung ist nicht schwer

Dabei ist die Bewältigung der Klimakrise eigentlich gar nicht kompliziert. Wir wissen genau, was getan werden muss, aber wir tun es nicht. Und warum? Wegen des Kapitalismus. Wenn ich heute eines sagen will, dann ist es das: Die Klimakrise kann nicht im Rahmen des Kapitalismus gelöst werden. Je früher wir uns dieser Tatsache stellen, desto besser. Lassen Sie mich kurz beschreiben, was ich meine.

Das Hauptmerkmal des Kapitalismus ist, dass er grundsätzlich antidemokratisch ist. Ja, viele von uns leben in demokratischen politischen Systemen, in denen wir von Zeit zu Zeit Kandidaten wählen können. Aber wenn es um das Wirtschaftssystem, das Produktionssystem, geht, ist nicht einmal der geringste Hauch von Demokratie zu spüren. Der gesamte Produktionssektor wird vom Kapital kontrolliert: Großkonzerne, Geschäftsbanken und die 1 %, die die Mehrheit der investierbaren Vermögenswerte besitzen … Sie sind diejenigen, die bestimmen, was produziert wird und wie unsere kollektive Arbeit und die Ressourcen unseres Planeten genutzt werden.

Für das Kapital ist der Zweck der Produktion nicht, menschliche Bedürfnisse zu befriedigen oder soziale und ökologische Ziele zu verfolgen. Es geht im Kapitalismus vielmehr darum, den Gewinn zu maximieren. Wir haben  geradezu pervers anmutende Investitionsmuster: massive Investitionen in die Herstellung von Dingen wie fossile Brennstoffe, SUVs, Fast Fashion, Industrie-Rindfleisch, Kreuzfahrtschiffen und Waffen – weil diese Dinge für das Kapital sehr profitabel sind. Gleichzeitig haben wir chronische Unterinvestitionen  in notwendige Dinge wie erneuerbaren Energien, öffentlichen Verkehrsmittel und regenerative Landwirtschaft, weil diese für das Kapital viel weniger rentabel sind. Dabei sind In vielen Fällen erneuerbare Energien billiger als fossile Brennstoffe! Aber sie bringen viel niedrigere Gewinnspannen. Also fließen die  Investitionen in den Sektor der fossilen Brennstoffe, auch wenn die Welt in Flammen steht.

Darauf zu setzen, dass das Kapital die notwendige Energiewende ernsthaft angeht,  ist eine schlechte und gefährliche Strategie. Die angemessene Antwort, mit dieser Krise umzugehen, ist die Forcierung der öffentlichen Planung. Wir brauchen wir massive öffentliche Investitionen in erneuerbare Energien, öffentliche Verkehrsmittel und andere Dekarbonisierungsstrategien…Es geht um Produktion in öffentlicher Kontrolle, um öffentliche Güter herzustellen. ….

Es geht ferner darum, die Kaufkraft der Reichen verringern und Kreditregeln für Geschäftsbanken einzuführen, mit dem Ziel, ihre Investitionen in ökologisch zerstörerischen Sektoren…zu begrenzen: fossile Brennstoffe, SUVs, Fast Fashion usw.

Dies würde bedeuten, dass wir eben diese Bereiche, die vorrangig auf die Bedienung von Kapitalinteressen abzielen, umschichten in Richtung soziale und ökologisch notwendige Tätigkeiten. Dies wäre eine ökosozialistische Strategie, die einzige Strategie, die uns retten könnte. Um die ökologische Krise zu lösen, müssen wir zu  einer demokratischen Kontrolle über die Produktionsmittel kommen…Und wir müssen uns daran machen, Bewegungen aufzubauen, die eine solche Transformation auf den Weg bringen zu können…. 

An dieser Stelle sollte allen klar sein, dass dies wirtschaftliche Souveränität für den globalen Süden voraussetzt. Die Länder können keine ökologische Planung machen, wenn sie keine souveräne Kontrolle über die Produktivkräfte des eigenen Landes haben. …Das kann nur mit den Schritten erreicht werden, wie sie meine Kollegen Ndongo und Fadhel skizziert haben: Industriepolitik, Regionalplanung, und fortschreitende Abkoppelung von den imperialen Zentren…

 

Ein paar Vorschläge

Konkret müssen wir folgendes tun:

Erstens

müssen wir auf den Abschluss eines  Vertrags über die Nichtverbreitung fossiler Brennstoffe drängen. Dieser Vertrag würde insofern die Mängel des Pariser Abkommens überwinden helfen als er sich direkt auf das Ziel konzentriert, die fossilen Industrien im Rahmen verbindlicher Jahrespläne zurückzufahren….Die reichen Länder müssen mit raschen Reduzierungen den Anfang machen. Den Ländern des globalen Südens muss der Zugang zu ausreichender Energie für ihre Entwicklung garantiert werden. Für diejenigen, die vom  Export fossiler Brennstoffe abhängig sind, müssen wir verlässliche Exit-Wege schaffen,  durch die sich wirtschaftliche Instabilitäten vermeiden oder zumindest reduzieren lassen. 

Zweitens 

müssen die Verhandler*innen auf Seiten der Länder des globalen Südens enger miteinander zusammenarbeiten. Sie müssen vom globalen Norden eine viel schnellere Dekarbonisierung fordern. Der Norden muss sich mit dem bescheiden was dem ihnen zustehenden Anteil am verbleibenden Kohlenstoffbudget entspricht.

 müssen wir erhebliche Ressourcentransfers vom Norden in den globalen Süden fordern. Weil die Länder des globale Nordens schon den größten Teil des Kohlenstoffbudgets des Gesamtplaneten aufgebraucht haben,  schuldet der Norden dem Süden beträchtliche Ausgleichszahlungen. Unsere Forschung zeigt, dass dies bis 2050 auf ca. 192 Billionen Dollar beläuft. Praktisch kann dieser Betrag durch eine jährliche Vermögenssteuer von 3,5% auf die reichsten 10 Prozent m globalen Norden aufgebacht werden. .

Natürlich sollten wir uns darüber im Klaren sein, dass die westlichen Regierungen dies nicht freiwillig tun werden. Es wäre nicht klug, auf den guten Willen von Staaten zu setzen, die sich nie um die Interessen des Südens oder das Wohlergehen seiner Menschen gekümmert haben.

Die Alternative besteht darin, dass die Regierungen der Länder des globalen Südens sich zusammen tun und die spezifischen Machtmittel nutzen, die sich aus ihrer Stellung im System der weltweiten Arbeitsteilung ergeben. Die westlichen Volkswirtschaften sind vollständig von Produktion aus dem Süden abhängig. Rund 50% aller im globalen Norden verbrauchten Materialien kommen aus dem Süden. Daraus ergeben sich Ansatzpunkte, um Druck auszuüben. Regierungen des globalen Südens können und sollten Kartelle bilden, um die imperialistischen Staaten zu zwingen, endlich radikalere Maßnahmen zur Dekarbonisierung und Klimagerechtigkeit zu ergreifen.

Apropos Süd-Süd-Solidarität, Die globalen Südregierungen sollten in Verhandlungen mit China Anstrengungen unternehmen, Zugang zu Technologien für erneuerbare Energien zu bekommen. Sie könnten  sich auf diese Weise ein Stück unabhängiger machen und ihre Erpressbarkeit von Seiten der imperialistischen Staaten reduzieren und den Beziehungen des ungleichen Tausches begrenzen, die zwischen ihnen und den industriellen Zentren des globalen Nordens vorherrschen.

Genossinnen und Genossen. Wir stehen an einer Weggabelung. Wir können entweder beim Status Quo bleiben und hilflos zusehen, wie unsere Welt in Flammen aufgeht. . Oder wir können uns zusammenschließen und uns gemeinsam aufmachen für einen neuen Kurs für die Menschheitsgeschichte. Der Kampf der Länder des Südens ist der wahre Träger einer welthistorischen Transformation.

Die Welt wartet. Das ist die Generation. Jetzt ist der Moment. Hasta la Victoria siempre!

Veröffentlicht in der australischen ökosozialistischen Zeitung Green Left  am 15. Juni 2024

Die Übersetzung erstellte Paul Michel. Der vorliegende Text ist eine leicht gekürzte, für eine deutsche Leser*innenschaft sprachlich überarbeitete Version des Orginaltexts. Es wurden  keine inhaltlichen Veränderungen am Orginaltext vorgenommen.  Die Zwischenüberschriften stammen vom Übersetzer. Wir bedanken uns bei Green Left und Jason Hickel dafür, dass sie den die Übernahme des Artikels gestatten.

Zur Person von Jason Hickel

Jason Hickel ist  Professor am Institut für Umweltwissenschaften und -technologie der Autonomen Universität Barcelona, Senior Fellow an der London School of Economics.

Er ist der Autor von „Weniger ist mehr: Wie Degrowth die Welt retten wird- Warum der Kapitalismus den Planbeten zerstört und wir ohne Wachstum Glücklicher sind“ Oekom Verlag 2022

Webseite von Jason Hickel