Katastrophe Kunststoffmüll: Scharfe Gegenmaßnahmen sind überfällig

Klaus Meier

Die Chemieindustrie ist in Deutschland nach der Automobilindustrie und dem
Maschinenbau die drittgrößte deutsche Industriebranche. Ihre Produkte finden sich heute überall: Verpackungen, Reifen, Autositzpolster, Pestizide und Dünger auf den Feldern aber auch Medikamente. Die chemische Produktlinie mit dem größten Energieverbrauch und den höchsten CO2-Emissionen ist die Produktion von Kunststoffen. Ihre großflächige Nutzung begann Mitte der 1980er Jahre. Nachfüllbare Limonaden- und Milchflaschen wurden zunehmend abgeschafft und durch Plastikbehälter ersetzt, die nach dem Gebrauch weggeworfen werden. Seitdem haben sich die Einweg-Verpackungen aus Kunststoff fast überall durchgesetzt. Diese Rationalisierung ermöglichte der Lebensmittel- und Drogerie-Branche ihre regionalen Grenzen zu sprengen und weit entfernte Märkte zu erschließen. Das war ein wesentlicher Baustein zur Entstehung größerer Konzerne in diesem Sektor.

Doch die Ökobilanz von Plastik ist katastrophal. Es kommt zu einer unablässigen Freisetzung von Kunststoffen in die Umwelt. In der Öffentlichkeit wird seit langem die Vermüllung der Meere mit Plastik diskutiert. Die Strände selbst abgelegener Inseln sind heute mit Kunststoffabfällen bedeckt. Schätzungen besagen, dass es im Jahr 2050 in den Meeren mehr Plastik als Fische geben wird.

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Wöchentlicher Plastikkonsum: Eine Bankkarte

Weit weniger im Bewusstsein angekommen sind die Mikroplastikfreisetzungen. Das Fraunhofer Institut „Umsicht“ hat bereits vor mehreren Jahren in einer umfangreichen Untersuchung festgestellt, dass allein in Deutschland pro Jahr die unglaubliche Menge von 330.000 Tonnen Kunststoffabrieb in die Umwelt gelangt. Die Hauptursache dafür sind der millionenfache Reifenabrieb, die Emissionen bei der Abfall“entsorgung“, der Abrieb der Plastikverpackungen oder die Freisetzung von Fasern beim Waschen von Kunststoffbekleidung. Mikroplastik wird in den Wohnungen und auf den Straßen eingeatmet oder befindet sich in den Lebensmitteln und Getränken. Eine Studie im Auftrag des WWF kommt zu dem Ergebnis, dass jeder Mensch pro Woche fünf Gramm Mikroplastik aufnimmt. Das entspricht der Menge einer geschredderten Bankkarte.

Kritisch zu sehen ist auch der überdimensionierte Treibhausgasausstoß der Kunststoffe. Die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens ist ohne eine Beendigung der Wegwerfplastik-Produktion nicht erreichbar.

Greenwashing

Die Chemiebranche steht heute politisch erheblich unter Druck. Dagegen setzt sie trickreiche Versprechungen, um von ihrer ökologischen Verantwortung abzulenken. Doch in Wahrheit ist es meist reines Greenwashing. So soll Bioplastik angeblich besser abbaubar und damit eine Lösung gegen die Vermüllung unseres Planeten sein. Doch schon der Name ist bewusst irreführend. Dieser Kunststoff wird zwar aus Biomasse hergestellt, z.B. aus Zuckerrohr, aber er ist ein Chemieprodukt und er zersetzt sich in der Natur genau so schlecht, wie normales Plastik. Ein anderer Trick ist der Bezug auf „Ocean Plastic“. So gibt es Taschen, auf deren Etikett man lesen kann: „Enthält Ocean Plastic“. Doch eine Mengenangabe wird aus gutem Grund nicht angegeben. Tatsächlich macht das Sammeln von Kunststoff aus dem Meer wenig Sinn. 97 % des Plastiks in den Weltmeeren ist gar nicht erreichbar, da es zu tief schwimmt und das Einsammeln im Verhältnis zum kargen Ergebnis zu viel Energie verbrauchen würde. Zudem hat sich „ocean plastic“ durch den langen Kontakt mit Salz und Sonne chemisch stark verändert. Wollte man es wiederverwenden, müsste man große Mengen Neukunststoff aus Erdöl hinzufügen.

Kunststoff-Recycling: Kaum umsetzbar

Auch das werkstoffliche Plastik-Recycling, über das jetzt viel geredet wird, ist meist nur vorgetäuscht. So gibt der Nivea-Hersteller Beiersdorf auf seiner Homepage an, dass er bis zum Jahr 2025 30 % seiner Verpackungen für Cremes, Shampoos oder Deos aus recyceltem Material herstellen will. Aber Ende 2020 lag der Recyclat-Anteil gerade mal bei mageren 4 %. Auch andere Konsumgüterhersteller formulieren ähnliche Rezyklat-Ziele für ihre Kunststoff-Behälter. Persil will bis 2025 30 % erreichen, Unilever 25 % und der Kosmetikhersteller L‘Oreal sogar 50 %. Doch das stößt an Grenzen: Der Markt für sauberes Rezyklat ist leer gefegt. Das gebrauchte Material ist mittlerweile sogar teurer als Neuware aus Erdöl. Der Grund für das Problem: Das aus dem Gelben Sack gefischte Plastik ist nicht nur verschmutzt, sondern für ein Recycling meist nicht mehr nutzbar. Selbst wenn Kunststoffe aus dem gleichen Grundstoff sind, enthalten sie die unterschiedlichsten Farben, sind womöglich beschichtet und verschiedenartige Mengen von Zusatzstoffen (sog. Additive) sind ihnen beigemischt. Am besten gelingt das Recycling, wenn das Plastik sortenrein ist. So z.B. bei industrieller Ausschussware. Davon gibt es aber nur wenig. Die Industrie will angesichts der Schwierigkeiten ihre Verpackungen sogar mit einem Wasserzeichen zu versehen. Die Hoffnung: Daraus könnte dann die spezifische Kunststoffzusammensetzung in den Sortieranlagen der Müllverwerter wieder abgelesen werden. Doch in der Praxis funktioniert das nicht. So werden in den Anlagen die Wasserzeichen gleich mitgeschreddert. Gleichzeitig müssten die zahllosen Sortieranlagen extrem aufwendig mit Zusatzkameras und Neuronalen Netzen hochgerüstet werden. Das würde enorme Kosten verursachen und ist bei der Vielfalt von Material und bestehenden Anlagen schlicht nicht umsetzbar.

MagdaEhlersPexelfree

Einfache Recycling-Regeln statt Plastik-Chaos

Die Sortieranlagenbetreiber, die die Probleme kennen, schütteln angesichts dieser verworrenen Ideen der Kunststoffproduzenten den Kopf. Sie wünschen sich Verpackungen, die nur aus einem einzigen Material sind, sog. Monomaterialien. Schließlich können Sortiermaschinen nur so gut sein, wie der Plastikabfall, der vorne rein gesteckt wird. Eine Verpackung, die aus einem halben Dutzend Kunststoffen und zahlreichen Beschichtungen besteht, ist faktisch von keiner Sortieranlage mehr separierbar. Schon eingefärbte Kunststoffe behindern die Materialtrennung. So kann schwarzes Plastik von den Sensoren der Sortiermaschinen nicht erkannt werden. Für das Recycling am besten geeignet sind weiße und farblose Kunststoffe. Wer einen Blick in die Regale der Supermärkte und Drogerien wirft, sieht, dass die Kunststoffhersteller diese einfachen Regeln schlicht nicht umsetzen wollen. Denn für sie repräsentieren die Verpackungen vor allem Werbeträger, die ihre Produktphantasien transportieren sollen.

Behindert wird ein Recycling auch durch ein willkürliches und nicht genormtes Hinzufügen von Additiven durch die Hersteller. Additive sind Chemikalien, die mit dem eigentlichen Kunststoff nur lose verbunden sind und dem Material z.B. Weichheit, Hitze-Beständigkeit oder Widerstand gegen UV-Licht verleihen. Durch alle diese Zusätze erhält ein eigentlich gleiches Grundpolymer ein vollkommen anderes Eigenschaftsprofil. Eine Vermischung dieser Stoffe beim Recycling schafft dann nur noch Materialprobleme. Eine direkte Sabotage stellen Verbundmaterialien dar, denn sie machen jeden ernsthaften Recyclingversuch nahezu unmöglich. Das ist beispielsweise der Fall, wenn verschiedene Kunststoffe miteinander verschweißt oder mit Pappe verklebt werden. Insbesondere bei Schulheften oder Taschenkalendern wird das gerne gemacht.

Aus ökologischer Sicht katastrophal ist auch die Herstellung von Faserverbundmaterialien. Sie bestehen meist aus Kohlenstofffasern, die in eine Kunststoffmatrix eingebettet sind. Diese Produkte in Leichtbauweise werden zunehmend für Fahrradrahmen, Golf- und Tennisschläger oder Autobauteile eingesetzt. Am Lebensende dieser Produkte ist nicht nur ein Recycling nahezu unmöglich, sondern auch ein einfaches Verbrennen geht nicht mehr. Schlimmer kann es kaum noch kommen. Es zeugt von einer erheblichen Skrupellosigkeit, solche Produkte in Umlauf zu bringen.

Ordnung schaffen mit dem Ordnungsrecht

Es ist eine irrwitzige Illusion zu glauben, dass die zunehmende Plastikverschmutzung durch eine angebliche Konsumentenmacht gestoppt werden könne. Sie hat so ein Ausmaß erreicht, dass sie nur noch gesellschaftlich bekämpft werden kann. Gegen den Widersinn der Plastikproduzenten hilft nur noch ein scharfes Ordnungsrecht: Verbote, Regeln und Vorschriften. Eine generelle Pfandpflicht für Plastikbehälter wäre wichtig. Auch ein Kunststoffrecycling wäre eigentlich eine gute Maßnahme. Aber dafür müssen auf der Produktseite erst die notwendigen Voraussetzungen durchgesetzt werden. Das bedeutet eine Normierung der Kunststoffbehälter in Bezug auf Farbe, Form und Zusätze. Das gilt genauso für Käse- oder Wurstverpackungen. Sollte das von den Herstellern nicht umgesetzt werden, können Käse und Wurst halt nur noch an der Theke frisch geschnitten werden. So war es noch in den 70-er Jahren. Und so einfach geht das. Ansatzweise existieren ordnungsrechtliche Maßnahmen in Schweden: Dort sind Produzenten und Importeure von Getränkeflaschen verpflichtet, Standards wie Material, Dicke, Farbe, Inhalt und Form einzuhalten. Jede Änderung muss genehmigt werden. Vorschriften allein werden aber nicht reichen. Sie wollen auch überwacht werden. Eine wichtige Maßnahme wäre mehr Demokratie: Unabhängigen Vertreter:innen aus dem Bereich von Umweltverbänden und Gewerkschaften mit Vetorechten in den Aufsichtsräten und Vorständen der Plastikverschmutzer.