GKN: Arbeiter besetzen Autobetrieb und treten für ökologische Produkte ein

 

Dario, Arbeiter bei GKN

Italien: Die Arbeiter:innen der ehemaligen Achswellenfabrik GKN halten ihr Werk besetzt, kämpfen für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze und dafür, etwas ökologisch und sozial Sinnvolles produzieren zu können.
Am 4. März 2023 kamen sechs Arbeiter des Unternehmens nach Berlin, um auf einer Versammlung der Klimabewegung in Berlin zu sprechen. Aus der Sicht der Anwesenden war es eine sehr inspirierende Veranstaltung, die eine politische und ökologische Orientierung vermittelte.
Arbeiter:innen von GKN auf einer Demonstration, Bild aus: Der Funke, "Erheben wir uns", https://derfunke.at/aktuelles/gewerkschaft/11749-erheben-wir-uns-der-arbeitskampf-bei-gkn-florenz
Aus dem Bericht von Dario, (Arbeiter von GKN) in Berlin:

„Wir haben uns die Fabrik zurück geholt“

Ein Finanzfonds schlägt zu

Im Jahr 2018 wurde die GKN-Gruppe (Automobilzulieferer) von einem Finanzfonds gekauft, Melrose, dessen Motto lautet: „Buy, Improve, Sell!“ Kaufe, verbessere, verkaufe! Bedeutet umstrukturieren, schließen, entlassen, um die Gewinne zu steigern. Melrose hat 2021 einen Verlust gemacht von 100 Millionen €. 2022 hat er einen Gewinn von 300 Mio. € gemacht. Er hat GKN Florenz geschlossen, GKN Birmingham geschlossen und andere Fabriken der Luftfahrtindustrie. Er hat GKN Kaiserslautern geschlossen und die Schließung von GKN Zwickau angekündigt. Der Finanzfonds hat seine Arbeit im zynischen Sinne gut gemacht. Genau das ist ihr Job. Man kann nicht gleichzeitig das Finanzsystem akzeptieren und Entlassungen beweinen. Wenn man das Finanzsystem akzeptiert, muss man unvermeidlich akzeptieren, dass die Fabriken per Mausklick geschlossen werden oder mit einer Mail, wie es uns passiert ist, im Namen der Aktionäre.“

„Wir mussten uns organisieren“

„Der Verkauf an Melrose machte klar, dass wir uns vorbereiten müssen und unsere Organisierung beschleunigen. Wir bauen auf das Erbe der 1970er Jahre, denn GKN Florenz war die alte Fiatfabrik, in der junge Leute versucht haben, Gewerkschaft auf andere Weise zu leben, ein gewerkschaftliches, demokratisches, kämpferisches Modell aufzubauen, eine Tradition, die uns bis zur Gründung des Fabrikkollektivs 2018 und der Einführung der Betriebsdelegierten führte. Denn wir haben nicht nur gestreikt, Rechte, Löhne und Verträge durchgesetzt. Wir wussten genau, wenn wir unsere Fähigkeit, die Fabrik zu kontrollieren, nicht ausweiten, werden eines Tages alle Vereinbarungen, die wir unterzeichnet hatten, nichtig sein. Es ist ein abgekartetes Spiel. Wir streiken und kämpfen, um Verträge zu bekommen, doch im günstigen Moment setzen sie sich darüber hinweg. Selbst wenn du im Recht bist, ist es zu spät, denn in der Zwischenzeit wurde die Fabrik bereits geschlossen.“

„Wir gingen rein und holten uns die Fabrik zurück“

„Am 9. Juli 2021, es war ein Freitag, sagte die Unternehmensleitung, wir sollen zu Hause bleiben, weil es wenig Arbeit gibt. Am Vormittag erhielten wir eine E-Mail, in der stand, dass wir alle gefeuert seien, dass wir die Fabrik nicht mehr betreten dürfen. Offensichtlich auch eine Form von psychischer Gewalt. Wir versammelten uns vor den Toren, weil wir uns schon lange auf diesen Fall eingestellt hatten. Die Tore waren geschlossen, drinnen waren bewaffnete Wachen. Wir gingen trotzdem rein und holten uns die Fabrik zurück. Seit dem 9. Juli 2021 sind wir in einer permanenten Versammlung.“

Keine Mitbestimmung über das, was wir produzieren

„Wir reisten dann zu einem Klimacamp nach Mailand im September 2022, auf einer Demonstration von Fridays For Future mit vielen tausenden Menschen und wir sagten den Versammelten etwas sehr einfaches: Denkt nicht, dass wir die Autoindustrie verteidigen gegen die ökologische Wende. Wir wurden nie gefragt, was wir produzieren wollen und deshalb wollen wir nicht verantwortlich gemacht werden. Wenn wir verantwortlich gemacht werden, dann wollen wir auch entscheiden was, für wen und wie viel wir produzieren. Eine Achswellenfabrik, wie unsere, könnte in die öffentliche Autobusproduktion eingegliedert werden, um die Fabriken zu erhalten, die die private Autoindustrie aufgibt. So könnten wir öffentliche Verkehrsmittel produzieren und eine Mobilität schaffen, die wirklich umweltverträglich, elektrisch und kostenlos ist. Eine Produktion, die unsere Mobilität tatsächlich öffentlich und nachhaltig macht!“

„Auch in Deutschland gibt es keine Mitbestimmung über die Produktion, auch bei VW nicht, auch nicht mit dem besten Mitbestimmungsgesetz in unserem Staat. Wir alle tragen die Folgen einer Produktion, die unsere Lebensgrundlagen zerstört. Wir zahlen mit unserer Gesundheit, mit unserem Leben für eine Produktion, die den Reichtum weniger generiert. Das zeigt deutlich: Die Linie verläuft nicht zwischen den Lohnabhängigen und der Klimabewegung. Sie verläuft zwischen den Konzernen, dem System der Profitmaximierung für wenige Reiche und allen anderen.“

Es gab nur den Widerstand

„Unser Kampf hat nicht begonnen, indem wir über Umweltschutz geredet haben oder indem wir über Konvergenz und die Notwendigkeit gesprochen haben, die Kämpfe der Arbeiter und der Umweltbewegung zu verbinden, sondern wir haben ganz einfach aus unserer Erfahrung gelernt, dass beides notwendig ist. Die Verbindung zwischen Umweltbewegung und der Arbeiterbewegung ist nicht bloß eine abstrakte Notwendigkeit (das ist sie auch), sondern eine praktische Notwendigkeit. Sie ist die einzige Möglichkeit, die wir als Arbeiter haben, um tatsächlich unsere Rechte, unsere Arbeitsplätze und unsere Löhne zu verteidigen. Es gibt also nicht den ökonomischen Kampf der Arbeiterbewegung, der dann irgendwann durch einen seltsamen Altruismus auch zur Umweltbewegung wird. Es gibt nur einen Kampf. Für das Leben, für die Fähigkeit, vom eigenen Lohn zu leben, mit eigenen Rechten, mit der eigenen Zeit. Das Leben ist die Luft, die wir atmen, das Leben ist das Territorium, das wir durchqueren. Das Leben ist die Fähigkeit der Menschen, ihre Arbeitsplätze zu verteidigen, aber auch zu entscheiden: Wem nützt deine Arbeit? Welche Welt wird sie hinterlassen? In welcher Welt findet sie statt?“

„Wie werden diese Fragen bei VW beantwortet? Werden sie überhaupt gestellt? Bei der Work / Life / Progress Veranstaltung der IG Metall am 26. April in Braunschweig zum Thema „Wandel – sozial und ökologisch“ gab es eine klare Antwort. Bei den Entscheidungen über die Produktion darf die Gewerkschaft nicht mitreden. So weit so schlecht. Tragisch ist die Entscheidung der Gewerkschaftsführung, es dabei zu belassen. Sie macht sich nicht stark für mehr Mitbestimmung, sie legt kein Konzept vor, wie der Wandel sozial und ökologisch gestaltet werden kann.“

Die Gewerkschaft muss ein gesellschaftspolitisches Mandat erringen

„Statt in der Sackgasse „Sozialpartnerschaft“ stecken zu bleiben, muss die Gewerkschaft ein gesellschaftspolitisches Mandat erringen. Du kannst auf tarifpolitischem Weg weder die Klimakatastrophe noch die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten bekämpfen. Das ist absolut undenkbar. Es ist nicht der Job der Konzerne, Sozialpartner zu sein. Ihr Job ist es Profite zu machen für die Aktionäre.“

„Der tarifpolitische Weg reicht nicht aus“

„GKN gibt uns ein anschauliches Beispiel dafür, wie der Kapitalismus funktioniert und warum der tarifpolitische Weg nicht ausreicht:
Die multinationalen Konzerne feuern dich mit einer Mail, nachdem sie dich mit endlosen runden Tischen beschäftigt haben, bei denen am Ende nichts herauskommt. Über Jahre hinweg und mit öffentlichen Geldern, nicht um die Fabriken wieder in Gang zu bringen, um uns Sozialpläne und Arbeitslosengeld zu geben, sondern um uns hin zu halten, damit wir nichts machen, bis wir von selbst kündigen. Deshalb erarbeiteten wir zusammen mit solidarischen Menschen aus Wissenschaft und Forschung unseren Plan für nachhaltige Mobilität und im Dezember 21 berufen wir eine Versammlung in der Fabrik ein, wo wir ihn vorstellten. Und auf dieser Grundlage fordern wir eine Intervention des Staates. Gleichzeitig halten wir uns bereit, wieder zu mobilisieren, wenn Melrose die Entlassungen wieder aufnimmt. Genau in diesem Moment, in dem wir über öffentliche Intervention redeten, tauchte ein Berater von GKN auf und sagt, dass er GKN Florenz kauft, um die Entlassungen zu stoppen. Es gab also einen weiteren Sieg. Denn dieser Unternehmer sagte zu, die Entlassungen und die Liquidation der Fabrik zurück zu nehmen und einen Investor zu suchen. Denn er selbst hatte weder Kapital noch ein neues Produkt. Wir hatten starke Zweifel an diesem Versprechen der Investoren, ob es evtl. nur dazu dient, Zeit zu gewinnen und uns weiter zu zermürben. Denn eine soziale Mobilisierung kann nicht unbegrenzt andauern. Die Solidaritätsbewegung um uns herum lässt irgendwann nach. Die einzige Möglichkeit, zu prüfen, ob dieser Investor tatsächlich kommen würde, bestand darin, die Konvergenz noch weiter zu verstärken. Deshalb haben wir am 26. März 2023 zu einer landesweiten Demonstration in Florenz aufgerufen. Zusammen mit dem Klimastreik des 25. März also vertiefte sich die Konvergenz. Natürlich werden wir  deswegen angegriffen. Es wird gesagt, GKN macht Politik statt Gewerkschaftsarbeit. Aber das war die einzige Möglichkeit, uns zu behaupten, um unsere Existenz zu sichern auch an der Gewerkschaftsfront.“

Aus den Erfahrungen von GKN lernen

„Aus den Erfahrungen von ex-GKN können wir lernen, wie auch immer der Prozess ausgehen wird, so wie wir auch aus den Kämpfen in Deutschland lernen können, wie z.B. bei Opel Bochum, als die Gewerkschaftsführung die Position des Opel-Konzerns übernommen hatte. Dabei hat die IG Metall eigentlich die nötigen Voraussetzungen. In der SATZUNG DER IG METALL heisst es unter § 2, Abs. 4:
§ 2 Aufgaben und Ziele der IG Metall:
„Erringung und Sicherung des Mitbestimmungsrechtes der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen im Betrieb und Unternehmen und im gesamtwirtschaftlichen Bereich durch Errichtung von Wirtschafts- und Sozialräten; Überführung von Schlüsselindustrien und anderen markt- und wirtschaftsbeherrschenden Unternehmungen in Gemeineigentum;“

„Das sind eigentlich gute inhaltliche Voraussetzungen. Auch das Grundgesetz hilft bei der anstehenden Vergesellschaftung relevanter Bereiche wie Energie, Gesundheit, Mobilität und Wohnen. Man muss es aber auch umsetzen.“

 

Solidarität mit der Belegschaft von ex-GKN ist notwendig:

Auf dieser Seite werden wir die Entwicklung von ex-GKN weiter verfolgen und rufen zur Solidarität auf. Wichtig sind Spenden für das Belegschaftskollektiv :
https://www.produzionidalbasso.com/project/gkn-for-future/