Entlassungen in der Auto- und Eisenbahnindustrie: Welche Antwort?

Klaus Meier

Bildautor: THE WHITE House, https://en.m.wikipedia.org/wiki/File:United_Auto_Workers_Strike_2023.jpg

Entlassungen in der Auto- und Eisenbahnindustrie: Welche Antwort?

Für eine Konversion, die Klimaschutz und Arbeitsplätze verbindet

 

1. Arbeitsplatzvernichtung in der Eisenbahnindustrie

Es ist heute allgemeiner gesellschaftlicher Konsens, dass der öffentliche Personenverkehr dringend ausgebaut werden muss. Nicht nur Fridays for Future, sondern auch die Ampelkoalition haben dies so formuliert. Umso irritierender ist, was real abläuft. Statt die Produktionskapazitäten des Schienenfahrzeugbaus auszuweiten, werden sie im Gegenteil gerade abgewrackt. Der Schienenfahrzeugkonzern Alstom, der erst im letzten Jahr den Hersteller Bombardier geschluckt hat, ist gerade dabei, wichtige Fertigungseinheiten im Schienenfahrzeugbau kaputt zu machen. Im Dezember 2021, nur 11 Monate nach der Übernahme des Herstellers Bombardier, verkündete Alstom, dass in den nächsten drei Jahren 1300 Eisenbahner-Stellen vernichtet werden sollen. Es sind im brandenburgischen Hennigsdorf bis zu 450, in Berlin 100, in Görlitz 400 und in Bautzen 150. Es sind alles Arbeitsplätze in Ostdeutschland. Insbesondere den Beschäftigten in Görlitz und Bautzen ist nach der Wende bereits viel zugemutet worden. Dazu kommt, dass in der bereits deindustrialisierten Lausitz zusätzlich noch der Ausstieg aus dem Braunkohlebergbau bevorsteht. Die ökologisch grundfalsche Vernichtung von Eisenbahnarbeitsplätzen würde das Angebot hochwertiger Jobs in der Region weiter verringern.

2. Arbeitsplatzvernichtung in der Autoindustrie

Parallel dazu rollt eine Arbeitsplatzvernichtungswelle quer durch die Autoindustrie. So bei Continental, wo zwei große Werke (Karben und Babenhausen) in unmittelbarer Nähe zu Frankfurt mit insgesamt mehr als 2500 Beschäftigten dicht gemacht werden sollen. Ein anderes Beispiel ist das Opel-Werk in Rüsselsheim, das vom französischen PSA/Stellantis-Konzern übernommen wurde. Es wurde bereits mehrfach zergliedert und Teile wurden verkauft. Zusätzlich wurden die Beschäftigten mit Entlassungen und unfreiwilligen Abfindungsverträgen überzogen.

Dramatisch sieht es heute auch bei Ford aus. Bereits 2019 und 2021 kam es in zwei Wellen zur Vernichtung von mehreren tausend Arbeitsplätzen. Die Betriebsräte haben diesem Stellenabbau immer wieder zugestimmt. Die vergebliche Hoffnung war, dass damit die Fabriken dauerhaft gesichert würden. Nun haben die Ford-Chefs aber erklärt, dass von den verbliebenen vier europäischen Werken eines geschlossen werden soll. Im Frühsommer 2022 soll entschieden werden, welche Fabrik es trifft. In Frage kommen nur das Werk in Saarlouis mit 5000 Beschäftigten oder das gleich große Werk im spanischen Valencia. Die Spatzen pfeifen es aber bereits von den Dächern und die Belegschaft ahnt es: Es wird Saarlouis treffen, denn Valencia hat niedrigere Produktionskosten. Doch auch für die Beschäftigten im Kölner Ford-Werk ist dies kein Grund zum Durchatmen. Denn nach der kapitalistischen Marktlogik ist Ford Europe eine zu kleine Einheit, ähnlich wie Opel.

 

3. Klimabewegung und Entlassungen in der Autoindustrie: Welche Antworten?

Die Frage stellt sich, wie die Klimabewegung auf die gerade laufenden Arbeitsplatzvernichtungen im Mobilitätssektor reagieren soll. Eine Solidarisierung mit den EisenbahnerInnen fällt sicherlich leicht. Aber was ist mit den AutomobilkollegInnen? Teile der Ökologiebewegung werden sich davon emotional nicht betroffen fühlen. Das ist aber aus zwei Gründen eine falsche Sicht. Erstens werden die kommenden Entlassungswellen die Gesellschaft weiter aufwühlen. Wenn es keine linke Antwort auf die Problematik gibt, werden sich rechte Rattenfänger zu Wort melden. Zweitens werden auch die Kapazitäten der Autobranche und die technischen Fähigkeiten der dort Beschäftigten für den notwendig schnellen ökologischen Umbau des Verkehrssystems benötigt. Das trifft vor allem deswegen zu, weil wir aus Klima- und Ressourcengründen schnell aus dem gesamten Individual-Pkw-Verkehrssystem aussteigen müssen. Die neue Ampelregierung sieht das anders. Sie will nur aus die Verbrennertechnologie beenden. Dabei sollen Diesel- und Benzinautos eins zu eins durch Elektrofahrzeu­ge ersetzt werden. Dadurch bliebe den kapitalistischen Konzernen, wie VW, Daimler, BMW oder Tesla ihr profitables Geschäftsmodell erhalten. Das sichert zwar die Gewinne der Kapitaleigner, wird uns aber nicht vor der ökologischen Katastrophe bewahren. Die Alternative besteht in Wahrheit im massiven Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel bei gleichzeitigem Rückbau des Individualverkehrs. Das gilt vor allem für die Städte und Ballungsräume, die bereits heute ohne Eisenbahnen, Straßenbahnen und Busse im Autoverkehr ersticken würden.

Allerdings ist das heutige öffentliche Verkehrssystem inklusive des schlecht ausgebauten Radnetzes viel zu klein, um den bisher von Autos getragenen Verkehr aufzunehmen. Überschlägige Rechnungen zeigen, dass der ÖPV von der Zahl der Transporteinheiten gegenüber heute um den Faktor zwei ausgeweitet werden muss. Das bedeutet u.a. eine deutlich Erhöhung der Taktzeiten und die Wiederinbetriebnahme von tausenden Kilometern Eisenbahn und Straßenbahn, die seit den 60-er Jahren zu Gunsten des automobilen Verkehrs bewusst kaputt gemacht wurden. Zur Umsetzung dieser großen Aufgabe müssen vor allem zwei Probleme gelöst werden. Zum Einen muss die Finanzierung abgesichert werden. Denn der Aufbau eines ökologischen Verkehrssystems ist nicht umsonst zu haben. Zum Anderen müssen die neuen Eisenbahnen, Busse und Stadtbahnen auch produziert werden können. Mit Geld allein ist nämlich noch nichts gewonnen. Man braucht auch Produktionsstätten und ausreichend qualifizierte MitarbeiterInnen. Betrachten wir im Folgenden die möglichen Lösungen für diese offenen Fragen.

4. Ökologische Umbau des Verkehrssystems: Wie finanzieren?

Ein ehrlicher ökologischer Umbau des Verkehrssystems, der die bisher durch Autos getragene Mobilität durch die Ausweitung des öffentlichen Verkehrs anvisiert, wird mindestens 500 Milliarden Euro kosten, eher sogar noch mehr. Für die bürgerlichen Politiker der neuen Ampelkoalition und die im Bundestag vertretene rechte Opposition ist das schlicht unvorstellbar. Aber eine Finanzierung ist möglich, denn das Geld ist da. So wird der Autoverkehr heute vom Staat maßlos subventioniert. Nach aktuellen Berechnungen aus 2017 von Prof. Böttger von der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft wird der Autoverkehr jedes Jahr mit 87 Mrd. Euro gefördert. Umgerechnet auf 10 Jahre sind das fast 900 Milliarden Euro. Damit wäre ein Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel finanzierbar. Das ist aber noch nicht alles, was man nutzen könnte.

Eine andere Möglichkeit, um ein ökologisches Verkehrssystem zu finanzieren, wäre eine Zwangsanleihe und einmalige Vermögensabgaben auf hohe Profite. Das wäre nicht neu, denn es gab in der Bundesrepublik schon einmal eine Vermögensabgabe, nämlich den Lastenausgleich. Er verpflichtete Vermögensbesitzer, über Jahrzehnte in Raten in einen Fonds einzuzahlen, aus dem nach dem Krieg Entschädigungen für Kriegsopfer und Vertriebene flossen. Im Grundgesetz-Artikel 106 werden dazu ausdrücklich „Vermögensabgaben“ und „Ausgleichsabgaben“ benannt1.

Tatsächlich ist genügend Geld vorhanden, das für den klimapolitischen Umbau abgeschöpft werden könnte. So haben in 2021 laut Handelsblatt allein die 40 Dax-Konzerne einen Nettogewinn von 115 Milliarden Euro eingefahren. Diese Gelder landen einerseits bei den Millionären und Milliardären. Zahlreiche Autoren, so z.B. Thomas Piketty2 in seinen Arbeiten, weisen nachen, dass sich diese Klasse in den letzten Jahrzehnten einen immer größeren Anteil des gesellschaftlichen Reichtums angeeignet hat. Maßhalten wäre hier mehr als angesagt. Vielleicht noch schlimmer ist es, wenn ein Teil der Nettogewinne der Dax-Konzerne in die Ausweitung ihrer Produktion fließt: Es werden dann noch mehr ökologisch schädliche Autos, Autoreifen, Flugzeuge, Kunststoffverpackungsmüll oder kurzlebige Wegschmeißbekleidung hergestellt. Dazu kommen noch dubiose Investmentgeschäfte der Banken. Es ist daher schon ein Gebot der sozial-ökologischen Vernunft, einen Großteil dieser Nettoprofite abzuschöpfen und für eine ökologische Zukunft einzusetzen. Und es sind nicht nur die Profite der 40 Dax-Unternehmen zu betrachten. Daneben gibt es in Deutschland noch 50 MDax- und 70 SDax-Konzerne, die ebenfalls hohe Gewinne einfahren. Eine Bewertung ihrer Produkte zeigt, das davon ebenfalls ein nicht unerheblicher Teil ökologisch und gesellschaftlich zweifelhaft ist. In jedem Fall lassen sich hier pro Jahr weitere Nettogewinne abschöpfen. Wenn man das alles für einen Zeitraum von 10 Jahren betrachtet, kommt man, konservativ gerechnet, zusammen auf mindestens 2.000 Milliarden Euro, die man für einen ökologischen Umbau des Mobilitätssystems, aber auch für eine Wärmesanierung der Wohnungen und einen klimaneutralen Umbau der Stahl- und Chemieindustrie einsetzen könnte. Es sind de facto nicht die Gelder, die für einen ökologischen Umbau der Gesellschaft und die Rettung unseres Planeten fehlen, sondern es ist allein der fehlende politische Wille.

5. Ökologischer Umbau: Welche Produktionskapazitäten?

Neben den Geldern für einen Umbau des Produktionssystems bedarf es zusätzlich geeigneter industrieller Kapazitäten, die für den notwendigerweise schnellen Bau von Eisenbahnen und Straßenbahnen eingesetzt werden können. Die sind in den letzten Jahrzehnten zunehmend ausgedünnt worden. Verblieben sind in Deutschland als wesentliche Hersteller von Eisenbahnen und Straßenbahnen nur Siemens Mobility und der französische Alstom-Konzern. In Zahlen ausgedrückt sind heute in Deutschland im direkten Eisenbahn- und Straßenbahnbau, ohne den Schienenwegebau und die Instandhaltung, gerade einmal 24.000 Beschäftigte tätig3. Zum Vergleich: Bei den direkten Automobilherstellern (wieder ohne Zulieferer) waren in 2019 rund 460.000 MitarbeiterInnen tätig. Das bedeutet, dass die Produktionskapazitäten der Autoindustrie fast um das zwanzigfache größer sind, als die des Eisenbahnsektors. Das heißt aber auch, dass allein mit den verbliebenen Beschäftigten von Alstom und Siemens Mobility in Deutschland kein schneller Umbau zu einem ökologischen Verkehrssystem erreicht werden kann. Allerdings könnte ein großer Teil der heutigen Autoindustrie auf die Schienenfahrzeugproduktion umgestellt werden. Statt großer SUVs und spritfressender Verbrenner könnten dann bei BMW, Porsche, Ford und ihren Zulieferern Komponenten für öffentliche Verkehrsmittel, wie Eisenbahnen oder auch Busse, produziert werden. Die dort arbeitenden IngenieurInnen und ArbeiterInnen haben eine hohe Kompetenz in der Blechumformung, der allgemeinen Metallbearbeitung, der Maschinennutzung, der Montage und der Steuerungstechnik, die sie dazu befähigen. Nicht zuletzt aus diesem Grund sollte sich die Klimabewegung gegen eine Zerstörung der Fertigungskapazitäten bei Ford oder Continental wenden.

6. Das gesellschaftliche Kräfteverhältnis ändern

Stattdessen sollte die Klimabewegung eine gemeinsame Perspektive zur ökologischen Produktionsumstellung mit den Beschäftigten der Autoindustrie formulieren. Das könnte vor allem dann wirkmächtig werden, wenn den Beschäftigten eine Entlassungswelle droht. So kam es vor wenigen Jahren bei der Schließung des Ford-Werkes im belgischen Genk zu massiven Auseinandersetzungen mit Straßenblockaden. Aber die Proteste verpufften schnell. Der britische Gewerkschafter und Ingenieur Mike Cooley, der für das Rüstungsunternehmen Lucas Aerospace einen Konversionsplan entwickelte, formulierte dafür einen wichtigen Grund: „Die Kampfmoral eines Beschäftigten (nimmt) sehr schnell ab, wenn er bemerkt, dass die Gesellschaft die Produkte, die er herstellt, nicht haben will.“ Das könnte sich aber schnell ändern, wenn KlimaschützerInnen vor den Fabriktoren von Alstom oder Ford auftauchen und sich mit den Lohnabhängigen solidarisieren. Das gesellschaftliche Kräfteverhältnis würde sich dann für beide Seiten rapide verbessern.

1Im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung und der Gewerkschaft ver.di hat der Jura-Professor Joachim Wieland von der Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer untersucht, ob der deutsche Staat eine einmalige Vermögensabgabe überhaupt erheben dürfte. Sein Fazit: Das Grundgesetz steht dem nicht im Weg. Siehe: Hans Böckler Stiftung: Verfassung erlaubt Vermögensabgabe, Böckler Impuls, Ausgabe 13/2012, www.boeckler.de

2Piketty arbeitet in seinen Veröffentlichungen statistisch die zunehmende soziale Ungleichheit und die Aneignung eines immer größeren Anteils der Einkommen und Vermögen durch die Herrschenden heraus. Siehe z.B. Thomas Piketty: Kapital und Ideologie, C.H.Beck, 2020, Siehe Kapitel 11 und 13

3Siehe dazu: Bernhard Knierim: Beschäftigte in der deutschen Schienenfahrzeugindustrie. In Mario Candeias/Stephan Krull: Spurwechsel, VSA-Verlag, 2022.