Eine Million Klimajobs

Paul Michel

Eine Studie britischer Gewerkschafter*innen

2014 veröffentlichte die Gewerkschafter*innengruppe „Campaign against Climate Change“, ein Zusammenschluss, der von acht von britischen Gewerkschaften unterstützt wird, den Report „One Million Climate Jobs“. Zielsetzung des Reports ist, herauszuarbeiten, dass der als Antwort auf den Klimawandel erforderliche Umbau der Industriegesellschaft keineswegs Arbeitsplätze kosten muss.

„Wir können eine Million sichere Arbeitsplätze im Bereich erneuerbare Energien schaffen, die Energieeffizienz steigern, indem wir Häuser und öffentliche Gebäude kostenlos isolieren, bezahlbaren öffentlichen Verkehr enorm ausbauen, um Menschen und Fracht auf sauberere Verkehrsmittel zu bringen, und die „grünen Skills“, die brauchen , durch Aus- und Weiterbildung entwickeln“ schrieben die Autoren 2014 anlässlich der Erstveröffentlichung. Jetzt, im Oktober 2021 legten die Autoren eine Überarbeitung des Report- mit einem neuen Titel vor: „Climate Jobs: Building a Workforce for the Climate Emergency“1https://www.cacctu.org.uk/climatejobs

 

One Million climate Jobs now - greenerjobsalliance.co.uk/courses/a-trade-union-guide-to-just-transition-background/a-trade-union-guide-to-just-transition/

 

Der neue Report zeigt, dass sogar mehr als eine Million zusätzlicher, gut bezahlter und qualifizierter Jobs geschaffen werden können, wenn wir es ernst meinen mit dem Kampf gegen den Klimawandel. Dazu, so schreiben die Verfasser*innen, „müssen wir uns jedoch von der gescheiterten Abhängigkeit vom Markt lösen und stattdessen in eine enorme Ausweitung der Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor in allen Sektoren investieren, von Verkehr, Energie und Ernährung bis hin zu Haushalten, Bildung und mehr, die für die Bekämpfung des Klimas von entscheidender Bedeutung sind Krise.“

Themen sind der Umbau des Stromleitungsnetzes, des Verkehrssystems, die ökologische Nachrüstung unsere Wohnhäuser, der öffentlichen Gebäude und der Industriegebäude, die Mobilitätswende im Verkehrssektor, oder die Decarbonisierung von besonders verschmutzenden Industriebranchen wie der Stahlindustrie oder der Zementindustrie.

a) Energiesektor

Beim Ausbau von erneuerbaren Energien wie Windkraft, Solarenergie, Nutzung der Wasserkraft in Form von Wellenkraftwerken oder Gezeitenkraftwerken gibt es ein großes Potential für neue Arbeitsplätze. Dazu kommt der notwendige Umbau bzw. Ausbau des Stromnetzes. Für die Menschen, die bisher im Bereich der Erzeugung fossiler Energie tätig sind, gibt es die Möglichkeit, auf Tätigkeiten im Bereich der erneuerbaren Energie umzuschulen. Die Autoren gehen davon aus, dass durch den Umstieg auf erneuerbare Energien 560 000 mehr Arbeitsplätze neu geschaffen werden als durch den Ausstieg aus den fossilen Energien verloren gehen. Im Konkreten gibt es natürlich Unterschiede zwischen Situation in der BRD und Großbritannien. In Großbritannien spielt die Kohle, insbesondere die Braunkohle, keine Rolle. Stattdessen ist in Großbritannien das schottische Nordseeöl die wichtigste fossile Energiequelle. Bei den erneuerbaren Energien hat für Großbritannien die Offshore Windenergie eine größere Bedeutung als etwa in der BRD. Die Autoren gehen davon aus, dass alleine hier ein Mehrbedarf von 70 000 Arbeitsplätzen besteht. 59 % der Arbeitsplätze würden in der Fertigung von Turbinen, Kabel oder Unterwassertechnologie entstehen. 24 %der neuen Jobs würden bei Betrieb und Wartung, 11% bei Installation und Netzanschluss entstehen. Eine britische Besonderheit wären Gezeitenkraftwerke. Für deren Ausbau sehen die Autoren ein Potential für zusätzliche 16.000 Arbeitsplätze.

Die Autoren schreiben: „Um dies zu erreichen, müssen wir mit dem gescheiterten Marktmodell brechen und zu einer integrierten öffentlichen Energieversorgung übergehen.“ Nur so ist es möglich, „diese ehrgeizige, aber absolut notwendige Arbeit zu bewältigen“.

b) Baubranche

Im Jahr 2019 machte der Energieverbrauch in Haushalten 21 % der britischen Treibhausgasemissionen aus. Entsprechend groß ist hier die Notwendigkeit der Einsparung von Treibhausgasen. Mit Abstand die größten Einsparmöglichkeiten ergeben beim Heizen der Wohnungen. Für die notwendige ökologische Umrüstung von Wohnhäusern, Büro-und Verwaltungs- sowie gewerblich genutzten Gebäuden sehen die Autoren einen riesigen Arbeitskräftebedarf. Sie sehen hier für einen Zeitraum von 10 Jahren ein Potential für zusätzliche 2 300 000 Arbeitsplätze.

Allein für das Umrüsten von Wohnhäusern und gewerblichen Gebäude werden 2 200 000 Arbeiter*innen gebraucht. Dazu kämen 20.000 Energiegutachter*innen, 20.000 Retrofit-Designern (Designern von Nachrüstungsarbeiten) und Projektmanager und 20.000 Support-Mitarbeiter, die bei der Planung und Verwaltung helfen. Bei der Herstellung/Bereitstellung von Materialien für die Umrüstung der Gebäude würde Arbeit für weitere 200.000 Menschen anfallen. Da wir es im Bereich der Umrüstung von Gebäuden mit sehr komplexen Aufgaben zu tun haben, sind die Tätigkeiten entsprechend anspruchsvoll und erfordern ein hohes Maß an Qualifizierung.

Die Mehrheit dieser Klimajobs – also Jobs, die direkt zur Reduzierung der CO2-Emissionen beitragen – müssen Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst sein. Ein „National Climate Service“ (NCS), nach dem Vorbild des britischen „National Health Service“ (NHS) muss dafür Sorge tragen, dass genügend Arbeiter*innen eingestellt werden und, dass sie alle sich erforderlichen Qualifikationen aneignen. Die Autor*nnen gehen davon aus, dass es sich bei den neuen Jobs um gut bezahlte gewerkschaftlich organisierte Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor handelt.

c) Verkehrssektor

Im Verkehrssektor verlangt die notwendige Rekonstruktion des durch die Thatchersche Privatisierung von „British Rail“ zugrundegerichtete Zugnetzes sehr hohe Investitionen für den Aufbau der Netzstruktur und des Personal. Die Zahl der dabei neu entstehenden Arbeitsplätze wird mit ca. 400 000 deutlich höher sein als der Minderbedarf, der durch die Schrumpfung der Autoindustrie (rund 165 000 Arbeitsplätze) und die drastische Reduzierung des Flugverkehrs (rund 110 000 Arbeitsplätze entstehen.

d) Umbau CO2 lastiger Industriestrukturen

Viele industriellen Prozesse sind sehr energieintensiv. Insbesondere die Zementindustrie und Stahlindustrie gehören zu den Hauptverursachern von Treibhausgasen. Angesichts der Tatsache, dass es momentan noch kein weniger umweltschädliches Verfahren zur Herstellung von Zement gibt, sprechen sich die Autoren dafür aus, deutlich weniger zu bauen. Beim Thema Stahl schlagen sie vor, den Anteil des von recycelten Schrottstahl zu erhöhen und möglichst schnell die Decarbonisierung voranzutreiben, indem statt Koks Wasserstoff bei der Stahlerzeugung eingesetzt wird.

e) Ernährung und Landwirtschaft

In diesem Abschnitt werden viele Probleme angerissen. Vieles bleibt dabei allerdings Stückwerk. Es gelingt hier nicht, eine schlüssige, in sich stimmige Alternative herausauszuarbeiten.

Resumee

Bemerkenswert an dem Report ist, dass er auch das Thema Wegwerfprodukte adressiert- die im modernen Kapitalismus dominierende Form der Produktion, deren Merkmal ein verschwenderischen Umgang mit natürlichen Ressourcen (Energie, Material) und massive Umweltverschmutzung sind.

Die Autoren schlagen als Alternative eine Kreislaufwirtschaft vor. Praktisch heißt das: Produktion langlebiger Produkte, deren Design darauf ausgerichtet ist, Reparatur möglich zu machen. Sie sehen hier ein enormes Potenzial für anspruchsvolle Tätigkeiten, bei denen komplexe Waren von der Elektronik über digitale Güter und Maschinen bis hin zu Stoffen und Möbelrenovierung repariert werden. Es wird hier allerdings nicht mit Zahlen unterlegt, was das in Sachen Arbeitsplätze bedeuten würde.

Auch wenn in einigen Industriesektoren die Situation in GB und BRD sehr unterschiedlich ist, ist für deutsche Gewerkschafter*innen die Lektüre der britischen Studie ein lohnendes Unterfangen. Man merkt dem Text an, dass in Großbritannien die Untersuchungsarbeit in den Bereichen Erneuerbare Energie und Wohnungsbau weit gediehen ist. Sehr anschaulich und konkret wird herausgearbeitet, wie die Umstrukturierung ausgestaltet sein soll. Es wird deutlich gemacht, dass der der Schritt in Richtung Nachhaltigkeit nur zu machen ist, wenn diese Sektoren aus Zugriff des Kapitals gelöst und in den öffentlichen Sektor überführt werden. Bezeichnenderweise gibt es in der BRD zu beiden Bereichen kaum eine Debatte.

Allen Linken, denen der ökologische Umbau der Industriestrukturen ein Anliegen ist, bietet die britische Studie zahlreiche wertvolle Anregungen.