Deutsche Bahn:

Die neue Chefin wird es nicht richten

Autor: Paul Michel

Eines muss man dem Bundesverkehrsminister lassen. Mit der Wahl von Evelyn Palla zur Bahnchefin hat er alle überrascht – auch seine Kritiker. In gewisser Weise ist das ein Bruch mit der Tradition: Evelyn Palla ist eine Frau, die  einen Lok-Führerschein hat und tatsächlich einen Zug fahren kann– welch ein Unterschied zu Mehdorn oder Grube, die, als sie ihren Job antraten nicht den Hauch einer Ahnung vom Bahngeschäft hatten. Sie bringt Erfahrungen aus einer Tätigkeit als Managerin bei der ÖBB mit, einer Bahngesellschaft, die tatsächlich vieles viel besser macht als die Deutsche Bahn. Und ihr wird bescheinigt als Regionalverkehrsvorständin bei der DB gute Arbeit geleistet zu haben. So finden fast alle Kritiker der Deutschen Bahn freundliche Worte zu ihrer Berufung. ( TAZ 21.9.: „Sie hat gezeigt, dass sie es kann.“)  
Deutsche Bahn, Photo: K. Meier 2024

Belastung der Fahrgäste durch Generalsanierung

Festzuhalten bleibt allerding: Das, was Palla und Schmieder bei der Veranstaltung von sich gaben, war unverbindlich und belanglos. Der Journalist Arno Luik, Autor des Buches „Schaden in der Oberleitung – Das geplantes Desaster der Deutschen Bahn“, bemängelt, dass  Palla nicht ein kritisches Wort zu dem von der Bahn momentan verfolgten Vorhaben der Generalsanierungen der 41 am stärksten befahrenen Strecken gefundenen hat. Zwischen  2024 und 2035 soll es während der Sanierungen jeweils mehrmonatige Vollsperrungen geben. Statt monatelanger Totalsperrungen  muss, so Luik,  die Sanierung „unterm rollenden Rad“ erfolgen: Die Schweizer zeigen, dass es durchaus möglich ist, auf einem Gleis zu reparieren, während auf dem anderen Gleis der Verkehr weiter läuft. Das macht zwar die Fahrplan-Planung etwas aufwendiger, erspart aber den Fahrgästen, die auf die Strecke angewiesen sind,  die Belastung durch oft stundenlange Umleitungen.

Luik kritisiert –  wie auch das Bündnis „Bürgerbahn“-  das Vorhaben noch aus einem anderen Grund. Bei den sicher notwendigen Sanierungen ausgerechnet mit den Rennstrecken zu beginnen, ist ein erneuter Beleg für den bei der Bahn dominierenden Hochgeschwindigkeitswahn. Richtig wäre, als erstes jene Strecken zu modernisieren,  die von der Masse der Bahnpassagiere genutzt werden und für den Fluss des Verkehrs im Netz viel wichtiger sind: Die Verbindungen in der Fläche zwischen mittleren und kleineren Städten. Die dort in großer Zahl vorhandenen  Langsamfahrstrecken zu beseitigen, die Signaltechnik zu modernisieren, Weichen neu einzubauen und Ausweichmöglichkeiten zu schaffen, so dass schnellere Züge langsamere Züge überholen können ohne dass deswegen das ganze Netz in die Knie geht. Das wäre eine viel nützlichere Maßnahme zur  Verbesserung des Verkehrsflusses im Netz der Bahn. 

Desaster mit Ansage

Luik mahnt zu Recht an, dass endlich ein Thema auf den Tisch muss, das die neue Bahnchefin wie auch ihre Schmeichler tunlichst vermeiden: Die Gründe  für katastrophale Situation der Bahn in Deutschland zu benennen. Das Desaster ist nämlich nicht naturgegeben, sondern Folge einer politischen Weichenstellung, die der Bahn mit der Privatisierung von 1994 verordnet wurde: Sie ist zu 100 % Staatsbesitz, soll aber geführt werden als privatwirtschaftliche AG. Folge der Orientierung  auf Gewinnmaximierung war, dass Investitionen in die Infrastruktur während dieser Zeit bei Bahnmanagement und Verkehrsministern als  reine Geldverschwendung galten. Der Bahnbetrieb in dünn besiedelten Strecken auf dem flachen Land, zwischen Klein- und Mittelstädten wurde als lästige Aufgabe angesehen, derer man sich schnellstens zu entledigen suchte, wenn eine Strecke keine Rendite abwarf. Hartmut Mehdorn, der sich vorgenommen hatte, als Organisator des Börsengangs in die Geschichte einzugehen,  sprach offen aus, was vorher eher im internen Kreis gesprochen wurde: Einzig und allein die Rendite entscheidet über Weiterbetrieb oder Sterben von Bahnverbindungen.  

Mit der Vorbereitung des Börsengangs nahm das Kaputtsparen der Bahn so richtig Fahrt auf. Jeder Cent wurde umgedreht, alles auf seine Wirtschaftlichkeit überprüft. In der Folge wurde das noch einmal intensiviert, was auch schon vorher getan worden war: Weichen wurden ausgebaut, Strecken stillgelegt, Fahrzeuge verkauft, Wartungsintervalle hochgesetzt und  Personal gespart, wo es nur möglich war. Seit 1994 wurde das Schienennetz um 17 Prozent verkürzt. 1994 war das Schienennetz über 40 000 km lang; Aktuell sind es 33 000 km. Das ist ein Rückbau um 20 %. 1994 gab es über 100 000 Weichen und Kreuzungen,  heute sind es weniger als 70 000. Immer mehr Städte wurden vom Fernverkehr abgehängt. Zudem wurden Weichen gekappt. Womit wir uns heute herumschlagen, ist ein Desaster mit Ansage. Die heute allseits beklagten Missstände sind das Resultat von jahrelanger Vernachlässigung der Infrastruktur, der Fahrzeuge und des Personals. Verspätungen bei einem Zug sorgen deshalb heute dafür, dass auf der betroffenen Strecke alle nachfolgenden Züge ebenfalls Verspätungen anhäufen. Die Züge können sich nicht mehr überholen. Es gibt unzählige Staus. Wenn nicht die ganzen Weichen und Überholgleise herausgerissen worden wären, hätten wir heute  deutlich weniger  Probleme mit der Pünktlichkeit. Zudem hat die Bahn sich seit der Bahnreform Schritt für Schritt vom Güterverkehr verabschiedet. Dafür verstopfen LKWs die Autobahnen, terrorisieren die Menschen mit ihrem Lärm und ihren Abgasen.

Wir stecken in einem Desaster mit Ansage:. Über Jahrzehnte haben Verkehrsminister und Bahnvorstände die Missstände schöngeredet. Das geht nun nicht mehr. Die Missstände sind zu offensichtlich.

Überflüssige Großprojekte

Zahllose Milliarden verschwinden in überflüssigen Großprojekten wie Stuttgart 21. Weil sich herausgestellt hat, dass das Projekt in seiner ursprünglichen Form nicht praxistauglich ist, sollen jetzt zu den rund 60 km bereits gegrabenen Tunneln noch weitere 50 Km Tunnel hinzubebaut werden. Würden die Pläne für die Verlegung des Bahnhofs in Hamburg Altona und das Vorhaben für den Brennerzubringerstrecke von Rosenheim nach Kufstein realisiert, würden nochmals jeweils zweistellige Milliardenbeträge fällig. Ein Abschied von den nutzlosen, sündhaft teuren Protzprojekten  und den geplanten Bolzstrecken mit ihren klimaschädlichen Tunnelbauten ist unerlässlich, wenn die Bahn je auf einen grünen Zweig kommen will. Durch Verzicht auf solchen Unfug ließe sich viel Geld einsparen, das vorrangig für die vielen notwendigen und sinnvollen Projekte genutzt werden könnte.  

Nötig ist auch die Einstellung sämtlicher Planungen für 300 km/h Hochgeschwindigkeitsstrecken. Stattdessen muss der Fokus auf die Weiterentwicklung der DB zur „Flächenbahn“ gelegt werden. Das heißt: die Bahn muss mit einem attraktiven Angebot in der Fläche präsent sein. Der Ausbau der Bahn darf sich nicht nur auf das Kernnetz zwischen den Metropolen beschränken.

 Darüber hinaus gibt es bei der Bahn noch viele weitere Baustellen, die wir an dieser Stelle aber nicht  behandeln können…

Wege aus der Misere

Falsch wäre falsch, darauf zu warten, dass Palla es richtet. Sich auf die Rolle des Kommentatoren zurückzuziehen, der vom Spielfeldrand die Geschehnisse kommentiert, mag für den Einzelnen bequem sein. Aber es bringt nichts.  Es kann sich nur etwas ändern, wenn aus der Gesellschaft  massiver Druck kommt. Da ist natürlich die Verkehrswendebewegung gefragt. Wenn es ihr nicht gelingt, diesen Druck zu organisieren, wird sich nichts Grundlegendes ändern.

Es muss sich wirklich vieles ändern. Es gibt zahllose kleine Stellschrauben, an denen gedreht werden kann, damit die Bahn wieder in die Spur kommt. Es bedarf unzähliger kleiner, ganz konkreter Verbesserungsmaßnahmen vor Ort, die aufzeigen, wie es besser gemacht werden kann. Aber alle guten Vorschläge werden ins Leere laufen, solange die Deutsche Bahn in ihrer grundsätzlichen Ausrichtung das bleibt, was sie gegenwärtig ist. Eine Börsenbahn, für die die Gewinnerwirtschaftung das Maß aller Dinge ist. Wir brauchen eine andere Struktur, eine nicht am Gewinn, sondern am Gemeinwohl orientierte. Es ist an der Zeit, die Vergesellschaftung der Bahn auf die Tagesordnung zu setzen.  Die notwendigen Veränderungen liegen eigentlich auf der Hand: Mehr Verkehr muss von der Straße auf die Schiene verlagert werden. Das wird nur durch einen massiven Ausbau des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs gelingen. Ein  groß angelegtes Mobilitätsprojekt könnte nicht nur einen Kurswechsel im Klimaschutz voranbringen, sondern  auch tausende neue Jobs schaffen.

Franziska Heinisch schreibt in einem Artikel im „Jacobin“: „Die Umwandlung der DB AG in eine Bürgerbahn könnte öffentlichen Wohlstand schaffen, statt Infrastruktur zur verscherbeln. Das würde die Lebensqualität von Millionen Menschen in Deutschland verbessern und Teilhabe für alle schaffen, statt immer mehr Städte, Regionen und Menschen buchstäblich abzuhängen. So ein Mobilitätsprojekt ist für die sozialistische Linke vielversprechend und könnte sogar Mehrheiten gewinnen.“