Degrowth-Kommunismus oder Barbarei – Buchbesprechung

Peter Häp

Systemsturz –eine neue Exitstrategie im ökosozialistischen Diskurs

 

Bild: Picryl Public domain cc0

Bestseller des japanischen Marxisten Kohei Saito

Der japanische Marxist Kohei Saito  legt in seinem Bestseller Systemsturz eine neue, ungewöhnliche Variante von Kapitalismuskritik vor.  Er bricht dabei auch radikal mit Ideen des grünen Kapitalismus, die unter den Lemmata Green New Deal, grünes Wachstum und Klima-Keynesianismus verhandelt werden. Hier, so meint er, kann die Rettung für den bevorstehenden Ökozid nicht liegen. Saito fordert nichts anderes als einen Degrowth-Kommunismus. Der Kapitalismus führt zwangsläufig in die Zangengriffkrise von Ökokollaps (Klimawandel, Naturzerstörung, Artensterben) und Ressourcenerschöpfung. Das Wachstums- und Konsumparadigma, vor allem im globalen Norden, ist aufzugeben. Postwachstum, so der Japaner völlig zu recht, kann es im Kapitalismus nicht geben. Viele Postwachstumstheoretiker*innen verharren jedoch bei einer Kritik am Konsumenten und deren konsumistischer Lebensweise. Eine „Suffizienzrevolution“ (Niko Paech) beim Verbraucher evoziert „nur“ eine individuelle  Befreiung vom Überfluss, eine Lebensstiltransformation. Das ist mehr als nichts, aber nur der halbe Weg. Der Kapitalismus bleibt erhalten, allerdings in abgerüsteter Form. Saito will aber den Systemsturz.  Saito (als Marxist konsequent) nimmt sich deshalb  die Seite der Produktion vor. Das Herz des Kapitalismus. Und hier, das ist das Verblüffende, bezieht er sich in seiner Kritik am Produktivismus und Extraktivismus auf Marx. Dieser hat in seinen letzten Lebensjahren mit dem Produktivismus, also der Entfesselung der Produktivkräfte als Treiber zur sozialistischen Revolution, gebrochen und wurde Verfechter einer stationären Ökonomie. Zudem wurde Marx auf seine alten Tagen noch zum Ökologen, der den Raubbau an der Natur sehr kritisch betrachtet. Marx sah z.B. durch die industrielle (Chemikalien und Kraftfutter) Landwirtschaft den Stoffwechsel Mensch-Natur nachhaltig zerstört.

Fünf Säulen eines Degrowth-Kommunismus

Mit dieser neuen Marx-Exegese will Saito die theoretische Grundlage für seinen Degrowth-Kommunismus legen. Er möchte auch eingefleischten Kommunisten und Kommunistinnen die Idee vom Postwachstum schmackhaft machen.
Nachdem er zunächst die bekannten Daten der Klimakrise rezipiert, die ökologischen Verwerfungen im Anthropozän aufzeigt, die Externalisierungsgesellschaft des globalen Nordens beschreibt (alles irgendwie bekannt, aber gut zusammengefasst), den Klima-Keynesianismus plus Geoengineering als systemrettende Variante verwirft, die These (der Grünen) von „intelligent wachsen“ als Augenwischerei beschreibt, kommt er über den späten Marx zu seinen fünf Säulen des Degrowth-Kommunismus (S.224ff.):

1. Wandel zu Gebrauchswirtschaft, weg von der Tauschwirtschaft2. Verkürzung der Arbeitszeit, mehr Lebensqualität durch weniger Arbeit
3. Aufhebung uniformer Arbeitsteilung: Für die Wiederherstellung der Kreativität der Arbeit, weg vom Taylorismus
4. Demokratisierung des Produktionsprozesses
5. Fokus auf systemrelevante Arbeit (Care-Arbeit, ergo Gesundheit, Pflege, Bildung), weg mit den Bullshit-Jobs (Werbung, Finanzen, Versicherungssektor); Wandel  zur Gebrauchswertwirtschaft.

So weit, so gut. Alle 5 Punkte  sind signifikante Bausteine für eine sozial-ökologische Transformation. Vollkommen richtig, wenn man marxistisch von der Produktionsseite her argumentiert. Hier muss angesetzt werden. Aber wie realistisch ist dieser Systemwechsel?

Saito bringt nun Beispiele für eine sich ankündigende Transformation. Zarte Pflänzchen in der kapitalistischen Wüste.

Je demokratischer der Produktionsprozess, desto langsamer die Wirtschaft. Eine etwas fragwürdige These. Nach dem Motto: viele Köche kochen den Brei  zwar nicht schlecht, aber langsam.

Etwas Kritik

Zum Schluss wird das Ganze nun doch etwas dürftig. Er nennt die Stadt Barcelona, die den Klimanotstand ausgerufen hat (den haben viele deutsche Städte notabene auch) mit einem klimagerechten Sofortprogramm. Detroit als wegweisend für urban gardening. Grenoble, die das Schulessen in den Kantinen nun genossenschaftlich-kommunal durchführt und nicht privatwirtschaftlich und als „Überbau“ die Fearless Cities (mittlerweile 77 Städte) die, so Saito, „es mit dem Kapitalismus aufnehmen können“ und verschiedene Konzepte horizontaler Solidarität entworfen haben.
Und noch etwas mehr Hoffnung macht eine Zahl: 3,5.
Saito: „Deshalb möchte ich hier die Zahl der `3,5 Prozent` ins Spiel bringen. Laut einer Studie der Harvard-Politologin Erica Chenoweth kommt es zu großen gesellschaftlichen Umwälzungen, wenn 3,5 Prozent der Menschen gewaltlos (kursiv, P.H.) und entschlossen aufbegehren“. Dass dieser Parameter umstritten ist, braucht man nicht expressis verbis zu erwähnen. Einige soziale Bewegungen der Klimagerechtigkeitsbewegung beziehen sich allerdings auf diese Zahl . Sei´s drum.
Fazit: Wir starteten beim marxistisch inspirierten „Systemsturz“ und am Ende landen wir bei den Fearless Cities und beim mathematischen Dreisatz.

Zum Abschluss meine Lieblingsstelle aus Systemsturz: „Sie wollen Gemeinderatsmitglied werden? Warum nicht! Für eine Umwelt-NGO aktiv zu sein, ist ebenfalls wichtig. Oder Sie gründen mit Gleichgesinnten ein bürgerverwaltetes Energieunternehmen. Und wenn Sie für  Arbeitszeitverkürzung und die Demokratisierung der Produktion einstehen wollen, sind Sie bei einer Gewerkschaft bestens aufgehoben.  Außerdem braucht man Menschen, die Unterschriften für die Ausrufung des Klimanotstands sammeln(…). Gehen wir es so an, entsteht ein Netzwerk der gegenseitigen Hilfe, reißfest und willensstark“ (S.276). Systemsturz? Na ja. Das könnte auch von Harald Welzer sein.

Tja, so sieht also der Systemsturz eines jungen Marxisten aus: gestartet als Tiger, gelandet als Bettvorleger.

Autor: Michael Häp. Der Autor ist aktiv bei attac in Krefeld

Kohei Saito Systemsturz. Der Sieg der Natur über den Kapitalismus.
dtv, 316 Seiten, 25 €