Ausstieg aus der Autogesellschaft: Sinnvoll und machbar

Autoindustrie umbauen und vergesellschaften

Paul Michel

Die Autokonzerne zeichnen in der Öffentlichkeit ein beängstigendes Bild für den Fall, dass ihre Wünsche nicht erfüllt werden. 400.000 Arbeitsplätze würden durch den Umstieg auf Elektro-Autos entfallen. Dabei sind es die Autokonzerne selbst, die für die Zerstörung der Arbeitsplätze sorgen.  Bisher sind vor allem die Autozulieferer von massivem Arbeitsplatzabbau und Standortschließungen betroffen. 

Autoindustie Unsplash, cc0

Die vermeintliche „Transformation“ ist häufig nur ein Vorwand für die Schließungen der Standorte in der Region. Dabei werden die bisherigen Tätigkeiten keineswegs eingestellt, sondern in Billiglohnländer nach Osteuropa verlagert. Roman Zitzelsberger, IG Metall Chef von Baden-Württemberg äußerte: „Wir stellen fest, dass ein erheblicher Teil der Zulieferer plant, neue Komponenten für Elektromobilität tendenziell eher in Low-Cost-Countries zu verlagern oder, um den neuen Sprech zu bemühen: in Best-Cost-Countries.“ Der Autozulieferer  Mahle machte sein Werk in Öhringen dicht und verlagerte die Arbeit nach Rumänien;  Mahle Gaildorf nach Polen; Bosch Bietigheim-Bissingen nach Ungarn; Eberspächer nach Polen.

Vieles deutet daraufhin, dass es alsbald auch Werke von Autokonzernen treffen wird. So steht das Fordwerk in Saarlouis mit 5000 Beschäftigten auf der Kippe,  Auch die 1300 Beschäftigten des  Opel Werks in Eisenach haben allen Anlass zur Sorge, dass die Stellantis-Bosse alsbald ihr Werk dichtmachen werden.

Elektroauto: Das Märchen von der Klimafreundlichkeit

Inzwischen haben fast alle Autokonzerne umgesattelt auf Elektro-Autos. Und sie werden nicht müde, Elektro-Autos als die ökologische Alternative zu präsentieren. Elektroautos sind zwar besser als Verbrenner. Aber die Klimabilanz bei der Herstellung von E-Autos ist katastrophal. Für die Herstellung eines E-Pkw wird in der Regel doppelt so viel Umwelt zerstört wie für die Herstellung eines herkömmlichen Pkw. Je größer die Batterie, umso größer  der Umweltschaden. Wird die Batterie eines E-SUV mit dem aktuellen Strom Mix geladen, muss er 130 000 Km fahren, bis der „ökogische Rucksack“ abgetragen ist und die – vermeintlichen – Umwelt- und Klimavorteile eines E-Pkw im eigentlichen Verkehr überhaupt erst relevant werden. Für die Herstellung von Elektroautos werden große Mengen an Metallen und selteneren mineralischen Rohstoffen wie Graphit, Kobalt oder Lithium benötigt. Die Gewinnung der für die Produktion von Batterien erforderlichen Rohstoffe (Lithium, Kobalt, seltene Erden) hat dramatische Folgen für die in den Abbaugebieten ansässige Bevölkerung. 

 Völliges Umsteuern erforderlich

Es ist klar, dass bei einer Verkehrswende hin zum öffentlichem  schienengebundenen Verkehr deutlich weniger  Pkw und Lkw benötigt werden. PKW werden wohl noch in Gestalt von E-Taxis gebraucht, um für die Menschen auf dem flachen Land Mobilität zu ermöglichen, als Dienstfahrzeuge für Service-techniker*innen oder mobile Dienste usw. LKW braucht man wohl noch für die Überbrückung der „letzten Meile“, nachdem Mittel- oder Langstreckentransport auf der Schiene oder auf dem Wasser erfolgt ist.

Für eine klimafreundliche Verkehrspolitik muss die gesamte Autoindustrie umgebaut werden.  Die heutigen Autowerke können neben Zügen für den Regional und Fernverkehr auch Straßenbahnen, Busse, Kleinbusse und Sammeltaxis bauen. Außerdem muss die Bahninfrastruktur ausgebaut werden.  Wenn aus der geschätzten Steigerung der Fahrgastzahlen bei Bahn und ÖPNV um den Faktor 2,5 etwas werden soll, würde das bei der Bahn- und Schienenfahrzeug-industrie 145 000 bis 235 000 zusätzliche Arbeitsplätze, bei der E-Bus Industrie 55 000- 60 000 zusätzliche Arbeitsplätze und in der Fahrradindustrie 15 000 bis 18 000 zusätzliche Arbeitsplätze bringen.  Dazu zu rechnen wären noch die Arbeitsplätze, die geschaffen werden, wenn die Bahn von einer Börsenbahn zu einer Bürger*innenbahn umgewandelt, und der ÖPNV endlich den Service bieten würde, der möglich und auch erforderlich ist, um deutlich größere Teile der Bevölkerung dazu zu motivieren, ihre Autos abzuschaffen und stattdessen sich mit Bahnen, Bussen, Fahrrad und den eigenen zwei Beinen fortzubewegen. Mario Candeias und Stephan Krull gehen in der jüngst erschienen Studie „Spurwechsel“  von zusätzlichen 220 000 Arbeits-plätzen aus.

Ökologisch-soziales Umbauprogramm

Beim ökologischen Umbau des Verkehrssektors kommt dem Staat eine tragende Rolle zu. Die Aufträge für neue Züge, Straßenbahnen und Busses müssen durch die öffentliche Hand finanziert werden. Ein ökologischer Umbau des Verkehrssystems dürfte wohl  500 – 700 Milliarden Euro kosten. Politiker der bürgerlichen Parteien sind da schnell mit der Aussage zur Hand: UNBEZAHLBAR! Doch das Geld dafür ist real vorhanden. Nach Berechnungen von Prof. Böttger (HTW Berlin) wird der Autoverkehr jedes Jahr mit 87 Mrd. Euro subventioniert. Umgerechnet auf 10 Jahre sind das fast 900 Milliarden Euro. Kanzler Scholz hat von einem Tag auf den anderen ein 100 Milliarden- Hochrüstungsprogramm für die Bundeswehr beschlossen. Die Frage nach der Finanzierung war da kein Thema. Als letztes Jahr der Verband der Automobilindustrie (VDA) und die IG Metall im Schulterschluss von der Regierung für die Transformation vom Verbrennungsmotor zum Elektroauto 500 Mrd. Euro gefordert haben, war von Seiten der politisch Verantwortlichen kein  Widerspruch zu hören.

Tax the Rich – Die Reichen sollen zahlen

Bekanntlich ist die BRD für die Superreichen ein Steuerparadies. Es gibt hier keine Vermögenssteuer und keine Erbschaftssteuer, die diesen Namen verdient. Auf Gewinne aus Kapital und Aktien wird eine Billigsteuer erhoben. Die  großen DAX-Konzerne haben ihr Vermögen in den vergangenen zwei Jahren massiv gesteigert. Oxfam spricht von „obszönen Krisengewinnen. Viele Milliarden Euros des Gelds der Reichen vagabundieren als Spekulationsgeld durch die internationalen Finanzmärkte auf der Suche nach der maximalen Rendite. Es ist höchste Zeit, dass mit der Politik der Steuergeschenke für die superreiche Minderheit Schluss gemacht wird.

Zu Zeiten der Kohl- Regierung  lag der  Spitzensteuer-satz bei 56 Prozent.  Auch die Steuern auf verschie-dene Unternehmensgewinne waren deutlich höher als heute. Wären die Steuern auf dem Niveau der Zeit der Kohl Regierungen würde der Fiskus jährlich 45 bis 50 Milliarden mehr in der Kasse haben.

Durch staatlich begünstigte Steuerhinterziehung wie die bewusste  personelle Unterbesetzung der Finanzämter  durch Steuerfahnder undeine Politik der gezielten Verhinderung von Betriebsprüfungen gehen nach Schätzung von „Monitor“-Redakteuren jährlich potentiell 70 Mrd. Euro mehr an Steuern verloren.  Mit den zusätzlichen Steuereinnahmen ließen sich die marode Infrastruktur und die erforderlichen ökosozialen Umbaumaßnahmen finanzieren.  

Leider scheint derzeit Oxfam derzeit die einzige Organisation zu sein, die lautstark und konsequent eine stärkere Besteuerung von Unternehmen und hohen Vermögen verlangt. Die Linke hat zum Thema Steuern für Reiche viel Papier beschrieben.  Aber in  der täglichen politischen Arbeit spielt das Thema Umverteilung bei der Partei „Die Linke“ kaum eine Rolle.

Die Tyrannei der Gewinnmarge brechen – Mercedes und Co vergesellschaften

Rein „technisch“ wäre  die Konversion der Autoindustrie kein Problem. Woran es fehlt, ist der Wille und die Bereitschaft der Leute an den Schaltstellen der Macht im real existierenden Kapitalismus.  Hier regiert die Gewinnmarge. Das angelegte Kapital muss sich lohnen, muss Mehrwert abwerfen. Mercedes Chef Ola Källenius  hat verkündet, man wolle sich jetzt ganz auf das margenträchtige Segment  der teuren, überflüssigen umweltschädlichen Luxuskarossen wie Maybachs oder AMGs konzentrieren.  Der Schaden, der von diesen Straßenpanzern an Mensch und Umwelt angerichtet wird, ist für Ola Källenius kein Thema.  Seine Kollegen von BMW und Audi ticken genauso. Das kapita-listische System ist eine systemische Krankheit, die den Menschen und der Umwelt immer schwere Schäden zufügt.

Möglicherweise findet jemand wie Källenius das, was er als Manager tut, privat  gar nicht so gut. Aber  als Topmanager agiert er – um einen wunderbaren Satz von Marx zu verwenden – als Personifikationen des Kapitals. Unabhängig davon, wie sie sich zu Hause oder ihren Kindern gegenüber verhalten, bei der Arbeit sind die Top-Manager menschliche Verkörperungen des Kapitals (sind sie Fleisch und Blut gewordene Charaktermasken des Kapitals). Die Imperative des Kapitals haben für sie Vorrang vor allen anderen Bedürfnissen und Werten. Im Zweifelsfall entscheiden sich Manager kapitalistischer Firmen immer für den Gewinn. Weil Luxuskarossen die höchsten Profitmargen bringen, produziert Mercedes sündhaft teure, überflüssige und umweltschädliche Spitzenmodelle wie S-Klasse, Maybach oder AMG und keine ICEs oder Straßenbahnen.

Das kommt nicht von ungefähr: Im Kapitalismus ist es nicht Ziel des Wirtschaftens, die tatsächlichen menschlichen Bedürfnisse zu erfüllen und das Leben der Menschen zu verbessern. Es wird investiert, um für die wohlhabenden Investoren, also die reiche Minderheit, ansehnliche Renditen zu erwirtschaften.

Es ist nicht vorstellbar, dass eine Verkehrswende im Rahmen eines Kapitalismus, der nicht zuletzt auch ein fossiler Kapitalismus ist, machbar wäre. Wer die  ernsthaft die aus ökologischen Gründen dringend gebotene Verkehrswende und die Konversion der Autoindustrie will, kommt nicht darum herum, die Eigentumsfrage zu stellen, und das zu tun, was Kevin Kühnert 2019 in einem kurzen lichten Moment in die Debatte gebracht hat: BMW, Mercedes,  VW, Ford, Stellantis und Co enteignen und unter öffentliche Kontrolle zu bringen.

Lufthansa: Vergesellschaften, Umbauen, Schrumpfen

Zu den schlimmsten Klimakillern gehört zweifelsohne die Luftfahrtbranche. Derzeit trägt der Luftverkehr zu knapp drei Prozent zum weltweiten Ausstoß an Treibhausgasen bei. Das ist aber nur die halbe Wahrheit: Denn da wo die Flieger die Abgase rauslassen – in mehr als 10.000 Meter Höhe – haben sie eine viel schädlichere Wirkung als am Boden. Der internationale Luftverkehr ist seit 2003 um mehr als 150 Prozent gewachsen. Um die Emissionen zu mindern, muss der gesamte Luftverkehr deutlich reduziert werden.

Inländischer Flugverkehr sollte in Zukunft eingestellt werden. Er sollte, wie auch ein großer Teil des innereuropäischen Flugverkehrs, auf die Schiene verlagert werden. Inländische und innereuropäische Flüge sollten nur für Notfälle vorbehalten sein. Die betroffenen Beschäftigten sollten auf Tätigkeiten bei der Bahn umqualifiziert werden.

„Bundesnetzagentur Mobilität“

Die Konversion von Autoindustrie, Bahnindustrie und Luftfahrtbranche  in eine integrierte Mobilitäts-branche, in der die Produktion von Autos nur noch eine untergeordnete Rolle spielen sollte, wird in der BRD nicht auf der Ebene des Einzelbetriebs zu machen sein. Es braucht eine enge Verzahnung der bisher getrennt, oft gegeneinander arbeitenden Branchen Autoindustrie, Luftfahrt  und Bahnindustrie. Alle drei Branchen müssen in öffentliches Eigentum überführt werden, um die vielfältigen erforderlichen Maßnahmen miteinander zu koordinieren: Paralleler Ausbau der Bus- und Bahnnetze bei gleichzeitigem Abbau der Kapazitäten in der Autoindustrie. Vorstellbar wäre eine öffentliche Verkehrsbehörde, eine Art „Bundesnetzagentur Mobilität“ mit den Säulen für Individualverkehr, öffentlichen Verkehr, Flugverkehr sowie Fußgänger- und Radverkehr übernehmen. Diese „Bundesnetzagentur Mobilität“ könnte die Umqualifizierung von bisherigen Beschäftigten der Autoindustrie für die künftigen Aufgaben übernehmen.

System Change wird kein Spaziergang

Klar ist, dass die deutschen Autokonzerne sich mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen ökologisch-soziale Umstrukturierungsmaßnahmen wehren werden. Es kommt darauf an, dass Klimaktivist*innen und Belegschaften in den verschiedenen Sektoren der Mobilitätsbranche zusammenarbeiten und eine breite, dynamische Bewegung schaffen, die auch wichtige Teile der gesamten Gesellschaft miteinbezieht.  Das ist gewiss keine einfache Aufgabe. Aber wir haben keine Wahl. Wie sagte doch Bertholt Brecht?

„Dass Du Dich wehren musst, wenn du nicht untergehen willst, wirst Du doch einsehen.“