Die deutsche Autoindustrie hat aktuell große Probleme mit dem Absatz ihrer Marken und der Konkurrenzfähigkeit gegenüber den Importautos aus Billiglohnländern. Die deutschen Autos sind zu schwer, zu schnell, zu teuer und zu wenig elektrisch. Angesichts der wirtschaftlichen Relevanz der deutschen Autoindustrie sind diese Probleme politisch äußerst brisant. Es drohen Werksschließungen und ein massiver Arbeitsplatzabbau. Dieses Scenario erfordert innovative Antworten, die auch den umwelt- und klimapolitischen Kontext beachten.
Umgekehrt hat die deutsche Schienenfahrzeugindustrie derzeit für die Verkehrswende keine ausreichenden Produktionskapazitäten. Die Lieferzeiten für Busse und Bahnen sind viel zu lang. Wenn sich die mit Massenproduktion von Fahrzeugen erfahrenen Autokonzerne verstärkt in der Herstellung von Bussen und Bahnen, vor allem des Nah- und Regionalverkehrs, engagieren würden und hier ihre Ingenieurs- und Konstrukteurskunst und Erfahrungen mit seriellen Produktionsstraßen einbringen, dann haben die von Freisetzungen bedrohten Autowerker wieder eine blühende Zukunft. Die weltweite Renaissance des öffentlichen Verkehrs mit Bussen und Bahnen wird hier neue Märkte öffnen.
Noch aber leiden die Verkehrsunternehmen unter langen Wartezeiten für neue Straßenbahnen, Elektrobusse, Regionaltriebwagen oder IC- und ICE Einheiten, teilweise von über drei Jahren. Und die meisten dieser Produkte sind wegen ihrer manuellen Einzelfertigung und geringen Stückzahlen zu teuer.
Der Markt für Busse und Bahnen ist maßgeblich bestimmt von den politischen und fiskalischen Rahmenbedingungen. So lange Bund und Länder in ihrer Gesamtverkehrsplanung und den darauf basierenden Haushaltsansätzen nicht in eine klimapolitisch motivierte Verkehrswendeoffensive einsteigen und die Kommunen und Verkehrsunternehmen mit der Aufgabe der lokalen und regionalen Verkehrswende und Beschaffung dafür notwendiger Fahrzeuge fiskalisch mehr unterstützen, wird es keinen Boom an Neubestellungen für Busse und Bahnen geben. Dabei ist der Bedarf für bessere Angebote im öffentlichen Verkehr riesengroß. Das wurde zuletzt bei den Erfahrungen mit dem 9 € und 49 € Ticket klar erkennbar. Wegen der Angebotsdefizite in ländlichen Regionen und der Preissteigerungen von 9 € auf 49 € auf jetzt 59 € beim Deutschlandticket kann das eigentlich mögliche Potential nicht ausgeschöpft werden. Wo es kein ausreichendes und ausreichend preiswertes Angebot für die Alternativen zur Autonutzung gibt, kann der Verkehrsmarkt nicht im erforderlichen Maß verändert werden.
Wenn bei der Beschaffung von Bussen und Bahnen an die Stelle der bisherigen Sparpolitik eine aktive staatliche Förderung treten würde, zur fiskalischen Entfesselung der Angebotspolitik für Busse und Bahnen , könnte eine schrittweise Transformation der Autoindustrie beginnen, die alle Optionen einer zukunftsfähigen und klimafreundlichen Mobilitätspolitik nutzt. Dieser Prozess wäre dann vergleichbar der Transformation der Energiewirtschaft weg von Kohle, Öl und Gas hin zu erneuerbaren Energien. Diese Transformation erfordert das Zusammenspiel von staatlichen Regulierungen der mobilitätsrelevanten Gesetzesbereiche, neuen Finanzierungssystemen und unternehmerischer Umorientierung der Autoindustrie und Fahrzeugindustrie für Busse und Bahnen zu neuen Produktlinien und Mobilitätskonzepten.
Die bislang favorisierten Produktlinien der Verbrennerautos mit immer teureren, schwereren und schnelleren PKW-Modellen (SUV) sind nicht zukunftsfähig. Sie müssen abgelöst werden durch ein anderes PKW-Leitbild kleinerer, leichterer, weniger teurer und durchweg elektrischer Autos. Der massenhafte Absatz von individuell genutzten PKW führt immer mehr in die Ineffizienz der Staus. Auch aus diesem
Grund müssen die Autokonzerne über eine Transformation zu Mobilitätskonzernen nachdenken und hierfür geeignete Konzepte und Fahrzeuge entwickeln. Mehr Mobilität mit weniger Autos, die effizienter als bisher eingesetzt werden, sollte das Ziel sein.
Viel gewonnen wäre schon für die Klima- und Verkehrspolitik, wenn die Effizienz des Autoverkehrs gesteigert würde. Durch eine Abkehr vom Konzept des massenhaften Stehzeugs, das derzeit 160.000.000 Stellplätze erfordert. Die blockieren den Umbau des öffentlichen Raumes für die Stadtbegrünung, Verkehrsberuhigung und mehr Platz für Fuß- und Radverkehr sowie Busse und Bahnen. Wenn die Autokonzerne massiv in das Car Sharing und Ride Sharing einsteigen, vor allem auch in ländlichen Regionen, könnte viel Platz zum Leben gewonnen werden. Bislang ist das Engagement der Autokonzerne für solche Effizienzprogramme minimal und dient mehr dem „Greenwashing“ als der dringend erforderlichen Problemlösung raus aus dem Stau. Dafür müssen die passenden Fahrzeugtypen (einfache elektrische Universalautos) gebaut werden und geeignete Betreibermodelle unter Nutzung der dezentralen Vertriebsstrukturen der Autokonzerne aufgebaut werden. Ein dezentrales, leistungsfähiges System „öffentlicher Bürgerautos“ kann gestützt auf leistungsfähige Kommunikations- und Dispositionssoftware die Effizienz des Autoverkehrs im ganzen Land massiv steigern. Motto: mit weniger Autos mehr Mobilität ermöglichen! Auch dafür ist die Schweiz mit ihrem Mobility-System vorbildlich, das auch im ländlichen Raum und Kleinstädten für Car-Sharing-Angebote sorgt.
Im Öffentlichen Verkehr ist im ganzen Land und vor allem in den ländlichen Regionen eine massive Verdichtung der Angebote (Netzdichte, Haltestellendichte, Fahrplandichte) erforderlich, wenn dort die bisherige Abhängigkeit vom Auto abgemildert werden soll. Dafür müssen in großer Zahl neue Mini- und Midibusse mit elektrischem Antrieb und Ausstattung für autonomen Betrieb gebaut und in Betrieb genommen werden. Dafür sollen die Autokonzerne neue Produktlinien für ÖV-taugliche Nutzfahrzeuge aufbauen. Und damit diese Fahrzeuge auch abgesetzt werden, sollen sich die Autokonzerne zur Förderung der Intermodalität und Multimodalität auch beim Aufbau entsprechender Angebots- und Vertriebssysteme engagieren. Sie könnten dafür gut ihre dezentralen Vertriebsstrukturen nutzen. So werden die Grenzen zwischen motorisiertem Individualverkehr und öffentlichem Verkehr durchlässig.
Der Schienenverkehr ist derzeit konzeptionell immer noch viel zu sehr auf die großen Formate von ICE und IC und auf die Hauptachsen der Hochgeschwindigkeitsstrecken fixiert. In diesem Bereich sind die Fahrzeuge extrem teuer. Für eine Flächenbahn, die im ganzen Land klimafreundliche Mobilität ermöglicht, braucht man viel mehr kleine und mittlere Fahrzeugformate, die für mittlere Geschwindigkeiten konstruiert sind und eine flexible Zugbildung mit Ganzzügen, Halbzügen und Drittelzügen erlauben. Damit wird die Flügelung von der Ausnahme zum Normalfall.
Für ein dezentraleres, engmaschigeres Schienennetz, das im dichten Taktverkehr bedient werden soll, braucht man einen viel größeren und differenzierteren Fuhrpark. Der vor allem im Nahverkehr und Regionalverkehr viel größere Kapazitäten in die Netze bringt.
Die Produktlinien der ÖV-Fahrzeughersteller müssen viel stärker als bisher die mittleren und kleinen Formate bedienen. Das betrifft bei der Schiene Light Rail, Schienenbusse, Straßenbahnen, S-Bahn- Fahrzeuge und Inter-Regio-Fahrzeuge. Hier umfasst der Bedarf passende Fahrzeuge für die vielen anstehenden Reaktivierungen und die vielen neuen kleinen S-Bahnsysteme und die Renaissance des kommunalen Schienenverkehrs mit Straßen- und Stadtbahnen sowie Tram-Train-Fahrzeugen. Und bei den Bussen wird ein großer Bedarf für Midi- und Minibusformate entstehen, die in den neuen Dorf-, Orts- und Landbusnetzen eingesetzt werden.
Für alle diese Aufgaben haben die deutschen Schienenfahrzeug- und Bushersteller bislang keine ausreichenden Produktionskapazitäten. Die Lieferzeiten sind viel zu lang. Das liegt auch an der überwiegend nicht seriellen Produktion der Fahrzeuge mit ihrer traditionellen Einzelfertigung. Hier können die ÖV-Fahrzeughersteller viel von den in der Serien-und Massenproduktion erfahrenen Autokonzernen lernen. Es gab mal eine Zeit, in der Daimler im Portfolio des Konzerns mit ADTRANZ auch die Herstellung von Schienenfahrzeugen hatte. Und Mercedes hat auch eine eigene Sparte für Busse. Vor allem für die Fahrzeuge des Nah- und Regionalverkehrs bietet es sich an, sich auf die Herstellung großer Serien vorzubereiten. Und dafür Lösungen für den Einsatz standardisierter Module zu suchen, die auf Plattformen zu verschiedenen Fahrzeugformaten komponiert werden. Dadurch können die Preise je Einheit deutlich verringert werden.
Hier können die ÖV-Fahrzeughersteller viel von den in der Serien- und Massenproduktion erfahrenen Autokonzerne lernen. Es gab mal eine Zeit, in der Daimler im Portfolio des Konzerns mit ADTRANZ auch die Herstellung von Schienenfahrzeugen hatte. Und Mercedes hat auch eine eigene Sparte für Busse. Vor allem für die Fahrzeuge des Nah- und Regionalverkehrs bietet es sich an, sich auf die Herstellung großer Serien vorzubereiten. Und dafür Lösungen für den Einsatz standardisierter Module zu suchen, die auf Plattformen zu verschiedenen Fahrzeugformaten komponiert werden. Dadurch können die Preise je Einheit deutlich verringert werden.
Auf diese Weise können die Ingenieurs- und Konstrukteurs- und Produktionsskills der Autofabriken produktiv die Herstellung von Bussen und Bahnen beflügeln. Das erlaubt den von Schließungen und Freisetzungen bedrohten Autofabriken wieder eine bessere Zukunft. Die weltweite Renaissance für Busse und Bahnen wird hier neue Märkte öffnen. Diese Geschäftsfelder sind für die Transformation im Verkehrssektor entscheidend.
Prof. Dr. Heiner Monheim ist Mobilitäts- und Verkehrsforscher sowie Sprecher von „Bürgerbahn- Denkfabrik für eine starke Schiene“
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