Kapitalistische Wegwerfkultur oder ökosozialistische Kreislaufwirtschaft?

Kai Hasse

Die Zerstörungen, die die kapitalistische Produk­tionsweise anrichtet, sind heute von lokalen auf globale Dimensionen ange­wachsen. Es werden zu viele Waren in zu kurzer Zeit in Umlauf gebracht, zu viele Roh­stoffe verbraucht, zu viel Müll und zu viele Gifte produziert. Unser begrenzter Planet wird von den damit verbundenen Stoffströmen zunehmend überfordert. Im Ergebnis drohen ökologische Katastro­phen. Doch welche Alternativen gibt es? Könnte eine ökosozialistische Kreislauf­wirtschaft eine Antwort sein?

Aber wurde nicht zumindest in Deutschland in den letzten 2 Jahrzehnten ein Recy­cling-System als Schritt zu einer Kreislaufwirt­schaft eingeführt? Tatsächlich entstand mit der Verpackungsverordnung von 1991 ein System der Mülltrennung der sog. Grüne Punkt. Und seit dem 1. Juni 2005 ist das De­ponieren von unbehandeltem Abfall nicht mehr erlaubt. Was hat die bürgerlichen Politiker zu dieser Maß­nahme bewegt? Tat­sächlich drohte Deutsch­land ein Müllnot­stand. Es war kaum noch mög­lich, neue De­ponien im erforderlichen Umfang neu zu er­öffnen, denn überall drohten langwie­rige Pro­teste. Die Verpackungsverordnung und das Deponieverbot waren daher schlicht Notmaß­nahmen. Aber von einer nachhaltigen Ent­wicklung ist Deutschland weit entfernt. Es fal­len immer noch ungebremst jedes Jahr rund 49 Millio­nen Tonnen Siedlungs­abfälle an. Dazu kommen 54 Mill. Tonnen Abfälle aus Produktion und Gewerbe [1]. Zusätzlich sind noch 60 Millionen Tonnen Baumüll zu berück­sichtigen [2]. Viele dieser Müllfraktionen ent­halten besonders pro­blematische Stoffe wie Schwermetalle oder Verbundmaterialien.

Recycling-Märchen

Die Konzerne der sog. „Wertstoffbranche“, wie Re­mondis, Viola oder Suez, behaupten, dass sie den Müll recyceln. Doch wie sieht die Wirklich­keit aus? In den Sammelbehältern des Grünen Punktes fin­det man genau das, was die Industrie produziert. Ein buntes Gemisch von Konsumgütern, die wie­derum in zahllosen Varianten hergestellt wer­den und sich unkontrolliert aus tausenden verschiede­nen Stoffen zusammensetzen, die teilweise hoch­toxisch sind. Und dazu kommen Berge von Verpa­ckungsmüll. Wer glaubt, dass man diese chaoti­sche Müll­vielfalt so einfach recyceln kann, sitzt ei­ner gefährlichen Illusion auf.

Ein erster Blick auf die Zahlen zeigt, dass von Re­cycling nur begrenzt die Rede sein kann. So wur­den 2012 in Deutschland rund 45 Millionen Ton­nen Müll verbrannt [1]. Auch die Zahlen über die Verarbeitung kommunaler Abfälle enthüllen die wahre Situation: So wurden laut dem europäi­schen Statistikamt Eurostat 47 % „recy­celt“, 35 % verbrannt und 17 % kompostiert [3].

Diese Zahlen machen deutlich, dass das offizi­elle Recycling der sog. Entsorgungsbranche unauflös­lich mit Verbrennungsprozessen ver­bunden ist. Da­für stehen heute in Deutschland 68 Müllverbren­nungsanlagen mit einer Kapazität von rund 20 Mill. Tonnen/Jahr und dazu 37 Ersatzbrennstoff­kraftwerke mit einer Zusatzkapa­zität von 5,7 Mill. Tonnen/Jahr zur Verfügung. Der Energiegewinn ist dabei bescheiden: Er trägt nur zu 1,5 % der deutschen Energieerzeugung bei. Wichtiger ist die verbrennung des störenden Mülls. Im Ergebnis werden pro Jahr 6,7 Mill. Tonnen Schlacke und dazu große Mengen Filterstäube erzeugt, die teilweise hochtoxisch sind. Hier be­ginnt nun das „Recy­cling“. Aus einer Tonne Schlacke lassen sich 10 bis 30 kg Eisenschrott und bis zu 5 kg Nichteisen­metalle (Kupfer, Zinn, Zink, Aluminium) gewinnen. Alle anderen Me­tallfraktionen, wie seltene Erden, gehen dabei allerdings für immer verloren. 87 % der Schlacke werden ebenfalls „recycelt“, indem sie für den Straßen- und De­poniebau eingesetzt werden. Selbst die Filtera­schen werden fast vollständig weiterverwertet – als Untertageversatz, also zum Füllen von alten Stollen [4],[5]. Die „Entsorgungsbranche“ sieht darin ein „als Verwertung anerkanntes“ Verfahren. Hier wird deutlich, wie ein hoher Recyclingpro­zentsatz zustande kommt.

Ein besonderes Problem stellt Plastikmüll dar. Er wird, wenn er nicht direkt verbrannt wird, ge­schreddert und anschließend mit ei­nem hohen logistischen und energetischen Aufwand nach Kunststofffraktionen separiert. Diese sind aber allein aufgrund der Plastik­vielfalt i.A. nicht voll­kommen sortenrein. Zu­dem enthält ein einzelnes Plastikmaterial selbst wieder eine bunte Mischung aus Weichmachern, Bisphenol A oder Pigmenten. So liefert das Kunststoffrecycling im Ergebnis bestenfalls ein minderwertiges Sekundärpro­dukt. Für hoch­wertige Produkte ist es nicht verwendbar. Da­her wird das recycelte Material vielfach gleich als Ersatzbrennstoff angeboten.

Ein anderes „Recycling“ betrifft den Bau­schutt, von dem in Deutschland pro Jahr im­merhin rund 60 Mill. Tonnen anfallen. Die Zahlen besagen, dass davon 70 % re­cycelt werden [2]. Doch der Löwenanteil die­ses Re­cyclats endet – leicht aufbereitet – als Schot­ter im Wege- und Straßenbau. Mit dem über­wiegenden Rest werden er­schöpfte Kiesgru­ben verfüllt.

Die Beispiele zeigen, dass das Gerede von einer Kreislaufwirtschaft reine Ideologie ist. In Wahrheit wird nur ein sehr geringer Müllanteil recycelt. Die große Masse erfährt dagegen eine „thermische Verwertung“ oder ein Downcy­cling, d.h. es entstehen minderwertige Sub­stanzen oder Produkte. Sie enden dann meist im nächsten Zyklus ebenfalls im Ofen. Wirkliche Nachhaltig­keit ist dies nicht. Dies kann aber auch nicht erwartet werden, solange die Güter, die recy­celt werden sollen, sich aus zu vielen unkon­trollierten Substanzen zusammensetzen. Technische Strategien der Müllverwertung können zwar viel erreichen – aber zaubern können sie nicht.

Nachhaltiges Recycling

Wie kann ein wirkliches Recycling ausse­hen? Eine intelligente Antwort wird in dem viel diskutier­ten Buch von Braungart und McDonough [7] ent­wickelt, die als Cradle to Cradle (C2C, Wiege zur Wiege) be­zeichnet wird und als Synonym für eine Kreislauf­wirtschaft benutzt wird. Die Auto­ren un­terscheiden nur zwei Stoffraktionen, nämlich syn­thetische und natürliche Mate­rialien. Sie sollen sich im Rahmen des Re­cyclings in getrennten Kreisläufen bewe­gen. Die sog. natürlichen Stoffe sollen so ausgelegt werden, dass sie am Lebens­ende eines Produkts bedenkenlos kompos­tiert werden können. Synthetische Stoffe, wie z.B. Glas, Metall oder auch Kunststof­fe, sind da­gegen nicht kompostierbar und sollen nach die­sem Kon­zept in endlosen Materialkreisläufen wiederver­wertet wer­den. Dies geht natürlich nur, wenn die Stoffe in einem Produkt am Lebensen­de trennbar sind und nicht vermischt werden, wie dies z. B. bei Verbundmaterialien wie Tetrapacks, mit Kunststof­fe beschichtete Aluminiumverpackun­gen, bei Poly­merbeton oder Möbeln aus Spanplat­ten der Fall ist.

Anders als das offiziel­le „Recycling“, das von der „Wertstoffbran­che“ und der Politik propagiert wird und das einfach bestehende Konsumgüter verwer­ten will, setzt das C2C-Recycling-Kon­zept auf ei­ner tieferen Ebene an. Das De­sign und die Her­stellung der Produkte soll so konzipiert werden, dass sie nicht nur formschön und zweckmäßig sind, sondern sich nach dem Ende ihrer aktiven Nutzung optimal in einen Kreislaufprozess inte­grieren und verwerten lassen. Bereits im Produkt­entwicklungsprozess steht bei C2C die Frage, wie ein Konsumgut konstruiert werden muss, damit es sich am Ende mit überschaubarem technischen und finanziellem Aufwand wieder in seine einzel­nen Fraktionen zerlegen lässt und die Materialien vollständig recycelt werden können.

Braungart und sein Team haben in vielen Fällen das C2C-Konzept erfolgreich umgesetzt. So existiert heute Unterwäsche, die am Lebensende kompostierbar ist, C2C-Sportschuhe oder Verpackungen nach dem C2C-Prinzip.

 

 

Wo Cradle to Cradle scheitert

Eine generelle Einführung von C2C-Prinzipien wür­de allerdings einen tiefen Bruch mit den bisher gülti­gen kapi­talistischen Entwicklungsmethoden erfordern, die sich einzig und allein am Profit ori­entieren. So wäre eine verringerte und reglementierte Stoffvielfalt erforderlich, um ein einheitliches Wertstoffrückführungssystem aufbauen zu können. Auch die Formen der herzustellenden Produkte wären zu vereinheitlichen und zu normieren. Weiterhin wäre auch ein Abbremsen der ständigen Neukonstruktionen von Konsumgütern erforderlich. Die Konzerne geben zwar vor, dass dies der Innovation dienen würde, aber in Wahrheit ist der gewonnene Nutzen oftmals marginal und vorgetäuscht und in Wahrheit verhindert er eine rationelle Ersatzteilbeschaffung. Braun­gart stellt sich real nicht den Problemen, auf die die Cradle to Cradle-Prinzipien im realen alltäglichen Kapitalismus stoßen würden. Geschweige denn, dass er Randbedingungen definiert, ab denen sein C2C-Konzept erst sinnvoll eingesetzt werden könnte.  In der Folge nutzen Industrieunterneh­men C2C-Prinzipi­en bisher nur in homöopati­schen Dosen zu Wer­bezwecken. Braungart muss sich daher vorwerfen lassen, dass seine C2C-Prinzipien real zum Greenwashing von zerstörerischen Geschäftspraktiken dient.

Müllmenge reduzieren durch lange Produktle­bensdauer

Ein weiteres wichtiges Vorgehen um die Müllflut einzudämmen, wäre die Herstellung lang­lebiger Konsumgüter, die möglichst lange bei den Benut­zern kreisen. Dies wird heu­te von kapitalistischen Unternehmen plan­mäßig untergraben, indem sie die Metho­den der Obsoleszenz anwenden. Darun­ter versteht man die gezielte und bewusste Verrin­gerung der Produktlebensdauer durch kapitalisti­sche Produzenten, die so dafür sorgen, dass die Nachfrage hoch bleibt und es zu keiner Marktsätti­gung kommt. Der Wirtschaftswissenschaftler Christian Kreiß, der eine Studie über Ob­soleszenz durchgeführt hat [6], schätzt, dass 11,3 % der von pri­vaten Haushalten erwor­benen Konsumgüter im Laufe der letzten Jahrzehnte so verändert wurden, dass ihre Lebensdauer um 50 % verkürzt wurde. Bei weiteren 7 % sei die Lebensdauer um 25 % reduziert worden. Kreiß selbst schätzt seine An­nahme als eigentlich zu konserva­tiv und zu opti­mistisch ein. Die Wirklichkeit sei wahrscheinlich weit schlimmer. Wir können dem nur zustimmen. Insbesondere weil Kreiß einen anderen Zusam­menhang beim Thema Obsoleszenz nicht ins Auge fasst. Während heute ständig neue Techno­logien auf allen Gebieten vorangetrie­ben werden, um neue Produkte zu entwi­ckeln, werden keinerlei technisch-wissen­schaftliche Anstrengungen unter­nommen, um die Lebensdauer von Produkten auszudehnen. Das wird daran deutlich, dass es heute an deutschen Hochschulen keine Lehrstühle zur Produktlebensdauer gibt, dass dazu keine Forschungsprojekte existieren oder dass heutige Ma­schinenbaustudentInnen in ihrem Studium nichts We­sentliches zu diesem Thema erfahren. Und auch die technische Literatur gibt dazu we­nig her: So machen die zur Verfügung ste­henden Kon­struktionskataloge des Ma­schinenbaus keine we­sentlichen Aussagen dazu. Dies wundert nicht, denn der Ein­fluss der Industrie reicht weit in die Hoch­schulen hinein.

Würde man systematisch daran arbeiten, die Le­bensdauer von Produkten zu verlän­gern, so wäre es sicher keine Utopie, beispielsweise Kühl­schränke zu produzieren, die 40 Jahre halten. Dies umso mehr als in der DDR schon eine Min­desthaltbarkeit dieser Geräte von 25 Jahren vor­geschrieben war. Angesichts des heutigen techni­schen Fortschritts wäre mehr möglich. Genauso könnten für Fernseher und Digitalkameras 20 Jah­re Haltbarkeit vorgeschrieben werden oder für Waschmaschinen 30 Jahre, usw.

Produkte wieder reparieren

Die heutige kapitalistischen Wegwerfgesell­schaft hat eine irrwitzige Konsumkultur er­zeugt. Wenn heute technische Gegenstände oder Bekleidungsstücke Mängel aufweisen, so werden sie meist bedenkenlos weggewor­fen. Ein Verhalten, das noch vor einigen Jahrzehn­ten undenkbar gewesen wäre. Wenn der Kra­gen eines Hemdes abgenutzt war oder es ein Loch aufwies, ließ man es vom Schneider reparieren. Schuhe wurden regelmäßig zum Schus­ter gebracht. Wenn ein Radio oder ein Fernseh­gerät Schäden aufwiesen, wurde wie selbstver­ständlich ein Radio- und Fernsehtechniker ge­rufen, der beispielsweise schadhafte Röhren im Gerät austauschte. So existierte ein effektives und umfassendes Netzwerk von Reparaturmög­lichkeiten.

Den großen Herstellern technischer Produkte ist es in den letzten Jahrzehnten gelungen, die früher noch vorhandene Reparaturser­vice-Infrastruktur weitgehend auszutrocknen und zu verdrängen. Die Politik hat dabei ta­tenlos zu­gesehen. Viele Unternehmen unter­halten zwar formal einen Reparaturservice. Aber die Kosten der Ersatzteile sind maßlos überteuert. Und es wird ein hoher Stunden­satz samt Anfahrt ver­rechnet, so dass poten­tielle Kunden ob des horrenden Preises gleich kapitulieren und lieber ein Neugerät bestellen. Das ist genau das, was die Unter­nehmen eigentlich auch wünschen, denn so wird der Neukauf wieder angekurbelt. Unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit ist das aller­dings eine Katastrophe.

Wichtig wäre es, dass Reparaturen wieder konkurrenzfähig gegen­über Neuprodukten gemacht werden. Dass be­deutet, dass Ma­terial- und Arbeitskosten, die bei Reparaturen anfallen, auf Neuprodukte um­gelegt werden sollten. Nur so entsteht der unter dem Ge­sichtspunkt der Nachhaltigkeit erwünschte Anreiz, Geräte zu reparieren statt ständig neu zu kaufen und dabei wertvolle Res­sourcen zu verschwenden. Dies ist durchaus im Interes­se der Kunden, die dadurch Geld ein­sparen, reduziert allerdings den Profit der ka­pitalistischen Konzerne.

Eine nachhaltige technologische Revolution ist notwendig

In Wahrheit bedarf es sogar noch weit mehr, um ökologisch zu produzieren. So brauchen Produk­te vor allem einen länge­ren Lebenszyklus. D.h. sie dürfen sich nicht mehr alle zwei Jahre än­dern, wie dies heute der Fall ist. Nur so können sich Repa­ratur-, Wiederver­wendungs- und Recyclingprozes­se auf spezifi­sche Produkte einstel­len. Dies wäre die Basis für eine ökologische Kreislaufgesell­schaft. Gleich­zeitig sollten be­stimmte Produkte im we­sentlichen gemeinsam genutzt werden. So soll­te die deutlich reduzierte Autoflotte ei­ner Gesell­schaft dem Car-Sharing vorbe­halten bleiben. Es ist klar, dass die öffentli­chen Verkehrsmittel im Ge­genzug deutlich aus­gebaut werden müssen.

Es bleibt eine letzte Frage: Ist die dar­gelegte Vision nicht auch im Kapitalis­mus um­setzbar? Die Antwort ist ein kla­res Nein. Der Kapitalis­mus kann nur mit ständigem Wachstum exis­tieren. Ein Schrumpfen der Gesamtprodukti­onsmenge würde eine tiefe Wirtschaftskri­se hervorrufen. Im Ringen um eine ökologi­sche Kreislaufwirtschaft muss daher auch der Kapitalismus überwunden werden.

[1] Destatis Statistisches Bundesamt, Zahlen für 2012
[2] Ungehobe­ne Schätze im Schutt, Evident 1/2014
[3] Umweltmagazin, VDI, April-Mai 2014
[4] D. Briese et. al.: Lohnende Reststoffe der Ab­fallverbrennung, VDI, Umweltmagazin Juli-Au­gust 2014
[5] R. Deike et. al.: Metalle aus Müllverbrennungs­schlacke, VDI, Umweltmagazin September 2013
[6] Christian Kreiß: Geplanter Verschleiß, Europa Verlag, Berlin 2014
[7] Braungart und McDonough, Cradle to Cradle, Piper Verlag 2013